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Archiv-Artikel

Hatun und Marwa

RASSISMUS In Dresden wird über einen Mord aus Muslimenhass verhandelt. Eine Debatte wäre nötig, welches Meinungsklima die Tat begünstigt hat

Daniel Bax

■ ist Redakteur im Meinungs- und Debattenressort der taz. Er schreibt seit zehn Jahren über die Themen Integration, Zuwanderung und Islam sowie über popkulturelle Phänomene und politische Debatten.

Als die Deutschkurdin Hatun Sürücü vor vier Jahren in Berlin von ihrem Bruder ermordet wurde, löste die Tat eine Debatte über Zwangsehen und Ehrenmorde unter türkischstämmigen Einwanderern aus. Der jüngere Bruder hatte sie erschossen, weil er ihren Lebensstil als „zu deutsch“ empfand.

Als die Ägypterin Marwa El Sherbini vor drei Monaten in Dresden von einem russlanddeutschen Aussiedler in einem Gerichtssaal ermordet wurde, folgte der schockierenden Tat in deutschen Medien erst einmal seltsames Schweigen. Der arbeitslose Täter empfand mörderischen Hass auf die Apothekerin, weil er sie mit ihrem Kopftuch als zu muslimisch empfand.

Die deutsche Öffentlichkeit nahm die Bluttat als Kuriosum wahr. Das war leicht, denn sie geschah im Osten der Republik, der für viele Westdeutsche noch immer eine Art inneres Ausland darstellt, überdies war der Täter selbst ein Einwanderer. Erst als die Reaktionen aus dem Ausland nicht mehr zu überhören waren, änderte sich diese Wahrnehmung. Doch da überwog in vielen Medien schon die diffuse Angst vor möglicher „muslimischer Rache“ das Entsetzen über den Mord.

Bloß kein Türke als Nachbar

Kaum jemand sah einen Zusammenhang zwischen dem Mord und dem Meinungsklima gegenüber Muslimen hierzulande. Nur der Dresdner Meinungsforscher Wolfgang Donsbach zog in der Sächsischen Zeitung eine Linie zu verbreiteten Haltungen und den Erfahrungen seiner Studenten in der Stadt. Donsbach hatte im März die Dresdner gefragt, welche Nachbarn ihnen besonders unangenehm wären, die Nennungen reichten von Afrikanern (10 Prozent) bis zu Osteuropäern (18 Prozent) und Türken (25 Prozent). Von den ausländischen Studierenden der TU Dresden, die er nach „negativen Erlebnissen“ befragt hatte, sagte jeder dritte, er sei schon einmal „wegen seiner Nationalität beschimpft worden“ oder „Schlimmeres“ – bei Studenten aus dem Nahen und Mittleren Osten war es sogar jeder zweite.

Marwa El Sherbinis Mörder Alex W. hatte sein Opfer vor der Tat als „Islamistin“ und „Terroristin“ beschimpft. Mit seiner Sicht auf Muslime und Kopftücher steht er nicht allein, denn seit dem 11. September 2001 hat die Abneigung gegen den Islam bundesweit zugenommen, wie der Soziologe Wilhelm Heitmeyer in seiner Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ feststellte.

Auch populäre Publizisten wie Henryk Broder, Udo Ulfkotte, Necla Kelek und Ralph Giordano weigern sich, bei Muslimen zwischen gewöhnlichen Gläubigen und radikalen Fundamentalisten zu unterscheiden. Die Emma-Chefin Alice Schwarzer nennt das Kopftuch sogar eine „Flagge der Islamisten“, die sie hierzulande aktiv bekämpft sehen möchte. Es brauchte jedenfalls nicht erst einen Thilo Sarrazin, um über zu viele Kopftuchmädchen in Deutschland zu schimpfen.

Kriminalisiertes Kopftuch

Die Politik hat sich diesem Diskurs längst gebeugt, die Kriminalisierung des Kopftuchs als potenziell „verfassungswidriges Symbol“ hat in mehreren Bundesländern inzwischen Gesetzesrang. Wenn aber schon der Staat keine Lehrerin mit Kopftuch einstellen mag, während er sich mit anderen religiösen Symbolen weit weniger schwertut, warum soll das dann ein privater Arbeitgeber tun? Das fragte sich kürzlich auch ein Architekturbüro in Frankfurt und bezichtigte eine Bewerberin um eine freie Stelle in seiner Absage einer islamistischen Gesinnung. Die alltägliche Ausgrenzung stellt sich gewöhnlich subtiler dar. Doch Frauen mit Kopftuch finden auch bei bester Qualifikation nur schwer einen Ausbildungsplatz, einen Job oder eine Wohnung.

Der Generalverdacht gegen Muslime, sie stünden irgendwie alle mit Terroristen im Bunde, kennt viele Formen. Das Großaufgebot an Polizisten etwa, mit dem in Niedersachsen bei „verdachtsunabhängigen Kontrollen“ seit Jahren bestimmte Moscheen abgeriegelt und die Ausweise und Taschen aller Besucher überprüft werden, ist kaum dazu angetan, das Misstrauen in der Nachbaschaft zu zerstreuen. Niedersachsens Ministerpräsident kam vor vier Jahren sogar auf die glorreiche Idee, eine Videoüberwachung von bestimmten Moscheen in Deutschland zu fordern. Dabei treffen sich Al-Qaida-Verschwörer eher selten an öffentlichen Orten, sondern lieber in Vereinsräumen und Privatwohnungen.

Der Mord an Hatun Sürücü hat sie nach ihrem Tod zu einer Symbolfigur für familiäre Gewalt in türkisch-muslimischen Familien werden lassen. Die Debatte über dieses Thema war notwendig und zwang türkische Medien und Migrantenverbände, sich stärker als zuvor damit zu beschäftigen. Dass es interessierte Grüppchen und „Islamkritiker“ gibt, die das Thema für ihre Zwecke instrumentalisiert haben, musste man dabei in Kauf nehmen.

Schon bald nach der Tat überwog die diffuse Angst vor „muslimischer Rache“ in deutschen Medien das Entsetzen über den Mord

Der Mord an Marwa El Sherbini hat sie nach ihrem Tod zu einer Symbolfigur für die Ausgrenzung von Muslimen hierzulande werden lassen – jedenfalls unter Muslimen. Eine Debatte über dieses Thema wäre notwendig, auch wenn es natürlich auch jetzt wieder interessierte Gruppen und Islamisten gibt, die das Thema für ihre Zwecke instrumentalisieren wollen.

Abwehrreflex, Selbstmitleid

Leider wird eine solche Debatte nicht geführt. Statt sich, wie es sich für eine aufgeklärte Gesellschaft gehört, selbstkritisch zu fragen, welche Umstände einen Mord aus Muslimenhass begünstigt haben könnten, dominieren Abwehrreflexe, Selbstgerechtigkeit und Selbstmitleid.

Klar: Der Mord in Dresden war die erste Tat dieser Art, bei der das Motiv Muslimenhass so deutlich ins Auge springt. Doch das populäre Ressentiment gegen Muslime, das sich als „Islamkritik“ einen pseudorationalen Anstrich gibt, ist nur die neueste Variante einer Fremdenfeindlichkeit, die sich in den Achtzigerjahren in „Türken raus!“-Parolen und später in den Anschlägen von Mölln und Solingen äußerte. Dass der Täter von Dresden ursprünglich aus Russland stammt, sollte auch nicht zur Relativierung einladen, sondern an die internationale Dimension dieses religiös begründeten Rassismus erinnern. Denn Muslimenhass ist – wie der Islamismus – eine Ideologie, die in Ländern wie Russland oder Indien, im Nahen Osten oder auf dem Balkan schon viele Todesopfer gefordert hat. DANIEL BAX