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An Waldorfschulen werden Fremdsprachen von Beginn an unterrichtet. Hirnforschung bestätigt die positiven Effekte

Von Nicolas Flessa

Als Rudolf Steiner am 7. September 1919 den Grundstein für eine Betriebsschule auf der Stuttgarter Uhlandshöhe legte, lag die Welt um ihn herum in Trümmern. Die im Laufe des 19. Jahrhunderts gewachsenen Nationalismen in Europa hatten zu einem verheerenden Weltenbrand geführt, der die Ordnung vieler Staaten und Gewissheiten für immer über den Haufen warf. Eine der fundamentalen Schlussfolgerungen, die der Humanist und Anthroposoph Steiner aus dieser kollektiven Erfahrung zog, war der unbedingte Wille, die Kinder der neuen Zeit zu echten Weltenbürgern zu erziehen. „Nun aber leben wir in einem Zeitalter, in dem gegenüber allem Trennenden zwischen Menschen und Völkern das Verbindende bewusst gepflegt werden muss“, so Steiner 1922. Und während die erste deutsche Republik zaghaft begann, ihren Willen zum Frieden mit internationaler Diplomatie zu bekräftigen, führte er in der 1. Klasse seiner Astoria-Betriebsschule den Fremd­sprachenunterricht ein. Die Kenntnis der Sprachen der Feinde von gestern sollte die Grundlage für den Frieden von morgen sein.

Neben dieser politischen Dimension sah Steiner auch pä­da­gogisches Potenzial im Fremdsprachenlernen. So sei nicht nur das Erfassen und Artikulieren fremdsprachiger Laute und Intonationen förderlich für die Pflege des Laut- und Wortsinns, sondern die Adaption neuer Denk- und Ausdrucksweisen bilde zugleich eine wichtige Chance für die Erweiterung der kindlichen Erkenntnisfähigkeit. Diese heute so modern anmutende Überzeugung widersprach lange Zeit dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Erst 1962 veröffentlichten die Psychologen Elizabeth Peal und Wallace E. Lambert eine Studie mit zehnjährigen Schulkindern, die einen positiven Effekt von Mehrsprachigkeit auf die Entwicklung der Intelligenz nachweisen konnte. Gerade im letzten Jahrzehnt mehrten sich die Hinweise auf die Vorteile frühkindlicher Mehrsprachigkeit – von der Förderung des kreativen Denkens über kognitive Flexibilität bis hin zur Verzögerung von Demenzsymptomen. „Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass bilinguale Personen größere, verteiltere Gehirnnetzwerke nutzen, was darauf hindeutet, dass sie alternative Wege haben werden, um die Neurodegeneration zu kompensieren“, so Mark Antoniou, Forschungsleiter am Marcs Institute for Brain, Behaviour and Development (Sydney), 2018 in einem Papier. Eine Entwicklung, die Steiners Theorie vom gestaltenden Wirken des Sprachgeists im jungen Menschen nachträglich zu bestätigen scheint.

Diese sich allmählich auch an staatlichen Schulen durchsetzende Erkenntnis (Artikel rechts) ist jedoch nicht immer gegen Rückschritte gefeit. 2013 hieß es in einem Bericht der deutschen Kultusministerkonferenz zu Fremdsprachen in der Grundschule: „Die wissenschaftliche Begleitung der Pilotphase in Baden-Württemberg ergab, dass Kinder bereits am Ende des zweiten Unterrichtsjahres in der Lage sind, erste Hypothesen über zielsprachliche Strukturen zu bilden und diese reflektierend zu vertiefen.“ Zum neuen Schuljahr wurde der Fremdsprachenunterricht von der 1. auf die 3. Klasse verlegt. Begründung: Mehr Zeit für Lesen, Schreiben und Rechnen. An Waldorfschulen geht das auch in Zukunft dreisprachig.

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