piwik no script img

Schwerfälliger Slapstick im Bonner Bungalow

Abrechnung mit Helmut Kohl: Sandra Strunz inszeniert im Mannheimer Schauspielhaus „Der Elefantengeist“ des Dramatikers Lukas Bärfuss

Von Shirin Sojitrawalla

„Tötet Helmut Kohl“, rüpelte Christoph Schlingensief einst und sorgte damit für kalkulierte Erregung. Zumindest erhöhte Aufmerksamkeit erregte die Ankündigung des neuen Mannheimer Intendanten Christian Holtz­hauer, vormals künstlerischer Leiter des Kunstfests Weimar, ein Stück über den Altkanzler in Auftrag zu geben. Klappern gehört zum Theatergeschäft.

Der Schweizer Dramatiker Lukas Bärfuss, der sich als Kulturdeutscher begreift, wurde beauftragt. Der schickt in ferner Zukunft einen Trupp Archäologen in die Ruinen Bonns, wo sie auf den Kanzlerbungalow stoßen, dessen letzter Bewohner bekanntlich Helmut Kohl war. Dort finden sie ein Buch über den 6. Bundeskanzler, woraus sich das Stück entspinnt, das schlaglichtartig Leben und Wirken Kohls samt Machenschaften mit dem Flick-Konzern beleuchtet. Hannelore, die zwei Buben und das berüchtigte Ehrenwort kommen natürlich auch vor. Das Ganze fügt dem Bekannten nichts Neues hinzu und liest sich eher wie ein verdichtetes Schuldenregister.

Der nach dem Tod Kohls einsetzenden Verherrlichungstendenz bietet es indes schön die Stirn. Gerade einmal 36 Seiten benötigt Bärfuss, um nichts Gutes über den Toten zu sagen, nicht einmal die deutsche Einheit mag er ihm ankreiden, sei die ihm doch quasi in den Schoß gefallen. Die Regisseurin Sandra Strunz dehnt das Stück im Mannheimer Schauspielhaus auf zweieinhalb Stunden, die es nicht braucht.

Anfangs schleicht Trockennebel über die himmlische Bühne von Sabine Kohlstedt, hinten gammelt der Kanzlerbungalow, links ein Erdhügel, womöglich der Dreckhaufen der Geschichte. Sieben Personen in Zukunftskleidung irren herein und erkunden die Reste der Bonner Republik wie faulige Zähne. Der dem Original nachempfundene Bungalow erweist sich im Laufe des Abends als Gewächshaus der Erinnerung. Der Geist von Helmut Kohl kommt über die Expediteure wie ein Fluch.

Alle Schauspieler tragen ihre eigenen Vornamen und einen Doktortitel davor, nur Johanna Eiworth kommt ohne aus. Nach und nach schält sie sich in die Rolle von Hannelore Kohl, deren Leben sie dann zum Blondinenwitz herabwürdigt. Mal im pinkfarbenen Rheinnixen-Badeanzug, mal als Königin der Nacht spielt sich die Ulknudel schrill und froh an die Rampe. Das ist nur schwer auszuhalten und widerspricht dem von Lukas Bärfuss vorab geäußerten Desinteresse an Karikaturen aufs Banalste. Dass ein anderer Spieler in die Kabarettlaunen von vorgestern fällt, die Schultern hochzieht, das Kinn runterschraubt und pfälzischen Dialekt anstimmt, fügt sich da harmonisch ein.

Ikonen im Holzkasten

Der schwerfällige Slapstick zermürbt das Stück zusehends. Wie auch die stetigen Wiederholungen es eher aufhalten als voranbringen. Ausgeklügelter kommt der Soundtrack daher, die Musiker Karsten und Reiner Süßmilch verballhornen dafür Melodien von John Cage über Wagner und Udo Jürgens bis zum alten „Tagesschau“-Jingle aufs Wunderlichste. Sie spielen auf der Bühne und tauchen immer mal wieder unvermittelt auf, etwa als Kohls lederbehoste Söhne im Bungalow. Der erweist sich immer wieder als Hingucker, dient mal als Leinwand für die Schattenspiele der Vergangenheit, mal als Vitrine für altgediente Politiker.

Schöne Bildideen, wie auch die Vision einer Zukunft, in der es weder Fleischesser noch das Konzept Liebe mehr geben wird. Ansonsten passiert nicht eben viel, mehr Palaver als Handlung. Vor die Pause platziert Strunz dann die große Anklage gegen Helmut Kohl und seine geheimen Geldspender. Danach sitzen die Akteure wie Ikonen im Holzkasten, neben Helmut und Hannelore Kohl geben sich jetzt auch Angela Merkel und Wolfgang Schäuble zu erkennen.

All das, was bei Bärfuss im Ungefähren wabert, konkretisiert sich auf der Bühne nicht zu seinem Vorteil. Nach zweieinhalb Stunden hat man das Gefühl, die Erdenschwere der Kohl-Jahre noch einmal am eigenen Leib durchgestanden zu haben. War das die Idee? Wie dem auch sei: Am Ende spendet das Publikum vereinzelte Bravos, ein lustloses Buh und den meisten Applaus für Hannelore Kohl.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen