: Leises Gewisper im Fake-News-Labor
Wer kann wem warum vertrauen? Wie wird Misstrauen generiert oder unterdrückt? Diesen Phänomenen geht das Berliner Theater- und Performancekollektiv Turbo Pascal in den Sophiensælen mit der Performance „Vertrauensfragen“ nach
Von Tom Mustroph
Das Berliner Theater- und PerformancekollektivTurbo Pascal klopft in der Partizipationsperformance „Vertrauensfragen“ in den Sophiensælen die Basics der Kommunikationsgesellschaft ab: In wessen Nähe begebe ich mich? Welche Informationen halte ich für vertrauenswürdig? Welche davon gebe ich in welcher Form weiter?
Zunächst besticht das Arrangement. Der Festsaal der Sophiensæle ist mit Zweiersitzgruppen gefüllt. Die Anweisung lautet, dass sich auf je einen der zwei Stühle ein Zuschauer setzen möge, der jeweils andere soll frei bleiben. Das wird brav befolgt. Und jeder ist nun vereinzelt, ist Ansehobjekt für alle anderen und richtet sich in der Doppelrolle aus Glotzen und Beglotztwerden ein.
Man wartete dann darauf, welcher Performer sich zu wem auf den freien Stuhl setzen und ein Gespräch mit leiser Stimme beginnen wird. Was waren die Auswahlkriterien? Die Position des Stuhls? Die Klassifizierung der Person? Dies mochte sich fragen, wer noch nur beobachtete. Einmal angesprochen, von einer Person aus der Performancetruppe (Angela Löer, Frank Oberhäußer, Eva Plischke und Margret Schütz) oder einem bereits zur Kommunikation beauftragen Mitzuschauer, gerieten diese Fragen in den Hintergrund. Im Aktivierungsmodus ging es vor allem darum: Was wird erzählt? Was davon klingt glaubwürdig? Was gebe ich selbst weiter? Welchen Manipulationsprozessen setze ich die Information selbst aus? Und welche ganz neuen, abweichenden oder konträren Geschichten schleuse ich selbst in die Gerüchtemaschine ein?
Damit beschäftigt waren wohl alle der etwa 80 Personen, die nun munter von Stuhl zu Stuhl wechselten und sich in immer neue Gespräche vertieften. Schnell teilte sich das Feld in Sitzer und Sitzerinnen auf, die einfach an Ort und Stelle auf die nächste Person warteten, und in Läufer und Läuferinnen, die von Stuhl zu Stuhl wechselten. Geschichten über Schulversager und Attentäter, über G20-Proteste und angekündigte Interventionen der Identitären Bewegung machten die Runde. Sie wurden weitergegeben, mal mit verschwörerischem Gestus, mal eher belustigt. In einer nächsten Stufe durfte man kommunikationsdarwinistische Studien betreiben: Welche Themen setzten sich durch? Welche nicht? Und wie verändert tauchten sie wieder auf?
Verblüffend war, wie gut und schnell die Sache funktionierte. Ein kleiner Kommunikationskeim gesetzt – und schon wird geredet, mit Bekannten, halb Bekannten und völlig Unbekannten. Der Mensch ist, wenn man ihn nur ein wenig anstupst, vor allem ein quatschendes Wesen.
Die Versuche, diese Gesellschaft durch kleine Interventionen der Performer neu zu strukturieren, stießen jedoch eher ins Leere. Aufgefordert, sich Masken zum Zwecke der Anonymisierung aufzusetzen, versahen sich manche mit dem zur Verfügung gestellten Kopfputz aus Sturmhauben und Sonnenbrillen, Theatermasken und Verhüllungen im Stil von Lampenschirmen. Andere verweigerten sich, mal aus Prinzip und mal aus Praktikabilität: Maskiertes Atmen ist durchaus beschwerlich. Das Spiel zerfiel jetzt in die Ebenen Neugier und Ablehnung. Die einen machten mit, für andere war die Maskierungsofferte Grund für Fundamentalprotest im Aufführungsarrangement. Noch mehr verbreitete sich das Befremden, als deutlich wurde, dass einzelne Mitspieler zum Aushorchen der anderen angestiftet wurden. Sind das bereits Stasi-, NSA-, Cambridge-Analytics-Methoden, die man aufdecken und skandalisieren sollte? Soll man es bloß nicht zu ernst nehmen? Oder doch erschrecken darüber, wie schnell sich andere – und sei es nur im Spiel – als Spitzel rekrutieren lassen?
Darüber sprach man dann auch, in Kleingruppenstrukturen, in denen sich erste Vertrauensfundamente herausgebildet hatten. Ein wenig plump wurde es schließlich, als wispernd zur Herausbildung einer irgendwie links eingestellten Bewegung aufgerufen wurde. In Fünfer-, in Zehner-, in Dutzendergruppen tapste man durch den Raum und animierte andere zum Andocken und Mittapsen, während an anderer Stelle die gerade hergestellten Verbindungen aus Desinteresse oder Dissens wieder zerbröselten. Das war ein Abbild der Gesellschaft, wie man sie kennt – ein Wissen allerdings, dass man nicht unbedingt auch noch performativ beglaubigt haben muss.
„Vertrauensfragen“ greift ein gutes, ein wichtiges Thema auf. Turbo Pascal handhabt auch die partizipativen Momente recht souverän. Wohin der Abend driften soll, scheint aber auch den Machern nicht recht klar. Ein simpler Stuhlkreis am Ende, mit Masken und über Verzerrer auf niedlich getrimmte Stimmen ist jedenfalls nicht das passende Finale für einen Abend, der charmant begonnen hatte.
Weitere Vorstellungen 13. und 14. 11., 19 Uhr, Sophiensæle
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen