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Die Kunst der Vermeidung

Die 33. Biennale von São Paulo sagt dem Biennale-Modell den Kampf an, scheut aber zugleich die Konfrontation mit einer Politik, die ihr an den Kragen will

Von Ingo Arend

Die Autoren der Ausstellung gehören alle erschossen“. Jair Bolsonaro war nicht zimperlich. Als der rechtspopulistische Kandidat für die brasilianischen Präsidentschaftswahlen, die am Sonntag stattfinden, zu Beginn des Jahres zu dem „Queermuseum“ befragt wurde, empfahl der homophobe Exhauptmann der Armee, die Macher der umstrittenen Schau zu den „Kartografien der Differenz in der Kunst Brasiliens“ im Sommer letzten Jahres kurzerhand zu „füsilieren“.

Der schockierende Spruch des Politikers, dem über 20 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang prognostiziert werden, zeigt den massiven Gegenwind, der der progressiven Kultur des Landes seit einiger Zeit entgegenschlägt. Schon im Oktober letzten Jahres hatten brasilianische Kulturschaffende in einem offenen Brief „alle demokratischen Kräfte“ aufgerufen, die „sozialen und kulturellen Freiheiten“ zu verteidigen.

Wer erwartet hatte, dass sich die 33. São-Paulo-Biennale, die Anfang September eröffnete, eine Gegenbastion zu diesem Trend bilden würde, sah sich enttäuscht. Es sei denn, man wertet die Tatsache, dass Kurator Gabriel Pérez-Barreiro sieben weitere KuratorInnen aus aller Welt eingeladen hatte, als Zeichen für internationalen Austausch und gegen die Kultur des starken Mannes in einem Land, das sich nun auch einem aggressiven Nationalismus und der Sehnsucht nach einem starken Führer ergibt.

Dem Chef der zweitältesten Kunst-Biennale der Welt geht es um die subtilere Form einer Ästhetik des Widerstands. „Affective Affinities – Gefühlsverwandtschaften“, der Titel von Pérez-Barreiros Schau, im Nebenberuf Chef der privaten Cisneros-Kunstsammlung in New York und Caracas, nimmt natürlich Johann Wolfgang von Goethes „Wahlverwandtschaften“ auf. Statt selbst einen schmissigen Parcours in den riesigen, von Avantgardearchitekt Oscar Niemeyer eigens für die Biennale errichteten Glas-Pavillon im Ibirapuera-Park im Herzen São Paulos zu legen, durften seine sieben Künstler*Innen je eine Schau ihrer Wahl zusammen stellen.

Subjektiver Geschmack vor kunsthistorischen Kriterien, Verzicht auf einen zentralen Slogan – in diesem Ansatz steckt ein problematischer Affekt. Biennalen sollen ja Experimentierfelder sein. Aber angesichts der Hypertrophie des Modells Starkurator, der Kunst oft nur zur platten Illustrierung irgendeiner steilen These nutzt, dufte man auf São Paulo gespannt sein.

Der ästhetische Mehrwert des Experiments tendiert in São Paulo gegen null

Doch der ästhetische Mehrwert des Experiments tendiert in São Paulo gegen null. Es hat durchaus seinen Reiz, statt einer Heerschau großer Namen sieben intime Minikosmen zu erkunden, wo nicht gleich überall eine politische Botschaft dröhnt.

Mancher Künstler*Innen-Kurator wartet auch mit Entdeckungen auf. Etwa wenn Mamma Andersson aus Schweden Zeichnungen ihres persönlichen Helden Henry Darger präsentiert. Der 1973 in Chicago gestorbene Outsider-Artist beschäftigte sich in Hunderten von Zeichnungen und Aquarellen mit dem Kindesmissbrauch.

Ein krasses Beispiel dafür, wie mit dem Kriterium der emotionalen Affinität letztlich aber nur die eigene Position illustriert wird, zeigt dagegen die brasilianische Künstlerin Sofia Borges. „The infinite history of things or the end of the tragedy of one“ hat sie ihre Gruppenschau aus 25 Positionen übertitelt, die alle ihre expressive Kunstauffassung teilen. „Existenz ist die großartige, nicht auszuhaltende Tragik“, begründet Borges ihren Parcours aus verballhorntem Jackson Pollock, kubistischer Skulptur und Schwarz-Weiß-Fotografien Indigener. Angesichts solch pathetisch aufgeblasener, privater Mythologien wünscht man sich den distanzierten Kurator zurück, den Pérez-Barreiro außen vor gelassen hat.

So wohltuend polyphon die Schau ist, so durchschnittlich ist sie auch. Zur Schule der Aufmerksamkeit, mit der Pérez-Barreiro gegen Manipulation in Politik und sozialen Medien immunisieren, die Menschen zum Umgang mit Vielfalt befähigen will, taugt sie kaum. Diesen zweiten Aspekt seiner „affective affinities“ hat der Kurator dem Aufsatz „De la naturaleza afectiva de la forma“ des brasilianischen Philosophen Mário Pedrosa aus dem Jahr 1949 entlehnt. Für den 1981 gestorbenen Marxisten und Künstler bahnt die Kunst der sozialen Freiheit vor allem durch eine Revolution der individuellen Sensibilität den Weg.

Der Funke von Pedrosas Idee einer Affinität von Künstler und Betrachter, die sich über die Form des Kunstwerks vermittelt, springt bei manchen der von Pérez-Barreiro selbst eingeladenen Künstlern über – den kontemplativen Skulpturen Alejandro Corujeiras etwa oder den melancholischen Textilstickereien des 1996 an Aids gestorbenen Feliciano Centurión, eines Vorläufers der Queer-Art. Angesichts einer politischen Rechten, die nach der Wahl das Kulturministerium abschaffen will und Hitler für einen „großen Strategen“ hält, wirkt es dann erschütternd naiv, wenn die Besucher vor einer Installation aus Steinen der brasilianischen Künstlerin Denise Milan über ihre „Verbindung zum Universum“ nachdenken sollen.

So übt sich die Biennale in einer bezeichnenden Kunst der Vermeidung. Wer dem ästhetischen Widerhall dieses Pulverfasses nachspüren will, muss in den Artspace Pivô gehen. Im Erdgeschoss des berühmten, elegant geschwungenen Niemeyer-Hochhauses Edifico Copan in Downtown São Paulo zeigt die brasilianische Künstlerin Letícia Ramos eine Schau zur „Universalgeschichte der Erdbeben“.

Monatelang hat Ramos für ihr Projekt im gerade abgebrannten Nationalmuseum in Rio de Janeiro recherchiert, „ein tragischer Verlust unserer gesamten Kulturgeschichte“, so beklagt sie den Verlust des 1818 gegründeten Hauses mit seinen Millionen Objekten. Wenn das auf einem rohen Holzblock aufgestellte Pendel ihrer Arbeit „Máquina de Simulacao de Terremotos“ auszuschlagen beginnt, meint man die Erschütterung gleichsam körperlich zu spüren, die dem Land an diesem Wochenende bevorstehen dürfte.

33.Biennale von Sao Paulo, bis 8. 12. (Katalog 20 Euro)

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