piwik no script img

Zwischen Scham, Neid und Solidarität

Das undogmatische Theaterkollektiv She She Pop feiert im Berliner HAU 25-jähriges Bestehen

Von Eva Behrendt

Schon ihr Name war ein Geniestreich. Für einige von uns Berliner Studentinnen war er Ende der Neunziger eine echte Verheißung, nicht nur, weil „She She Pop“ nach Eiscreme, Musik und damals diagnostizierter Spaßgesellschaft klang. Sondern auch, weil sich dahinter ausschließlich junge Frauen (fast) wie wir verbargen, die nach ihrem Studium für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen damit beschäftigt waren, sich als Frauen und Künstlerinnen überhaupt erst zu erfinden und ihre Rolle im Verhältnis zum Publikum offensiv zu verhandeln.

Begeistert quetschten wir uns also in die Tabledanceshow „Trust!“ (1998) im Berliner Podewil, wo Lisa, Ilia, Berit, Mieke, Katharina und Johanna angriffslustig ihre Marktchancen testeten und das Publikum zum Erwerb einzelner Show- und Interaktionsnummern aufforderten. War uns damals die Tragweite dieses Unternehmens bewusst? Immerhin untergruben She She Pop und mit ihnen verschwisterte Kollektive wie Gob Squad stürmisch alle institutionellen Stadttheatergewissheiten, die als professionell und künstlerisch wertvoll galten – indem sie behaupteten, alles zugleich sein zu können: Autorinnen, Regisseurinnen, Performerinnen, Bühnenbildnerinnen, Technikerinnen, Managerinnen. Dass dieser selbstbewusste Allround-Dilettantismus aus den Do-it-yourself-Erfordernissen der Uni stammte, merkte man ihren Arbeiten durchaus noch an. Und er hatte auch einen Preis, nämlich den, nicht hundertprozentig ernst genommen zu werden – speziell als „Girlgroup“. Wenn dieser Tage She She Pop ihren 25. Geburtstag feiern und damit genauso lange währen, wie die Ära Castorf an der Volksbühne gedauert hat, triumphiert auch eine künstlerische Produktionsweise, der man vielleicht nicht immer Durchhaltevermögen und Stabilität zugetraut hätte. „Wir sind zäh“, stellen Berit Stumpf und Johanna Freiburg beim Gespräch in Berlin trocken fest. „Natürlich ist so ein Kollektiv kein Selbstläufer. Aber als Frauen sind wir es gewohnt, Beziehungsarbeit zu leisten. Und wir haben lernen müssen, uns von Bestätigung von außen unabhängig zu machen.“

Gender, undogmatisch

Zumal die Gruppe, zu der neben Stumpf und Freiburg auch Ilia Papatheorou, Mieke Matzke, Fanni Halmburger, Lisa Lucassen und – zum Glück wird das Genderding nicht dogmatisch gedacht – seit 2002 auch Sebastian Bark gehören, die Konflikte, in die sie untereinander oder als Gruppe geraten, künstlerisch produktiv macht. Dass diese Konflikte sich mit den Lebensphasen ändern, kann man am mittlerweile recht umfangreichen Werk von She She Pop studieren. Viele frühe Arbeiten waren geprägt von der Erfahrung, als junge Frauen auf der Bühne bewertet und verglichen zu werden – und Gefahr zu laufen, dies auch untereinander zu tun.

„Plötzlich wurden wir als die Schöne, die Lustige oder die, die sexy ist, tituliert“, erzählt Berit Stumpf. „Unsere Kollegen der Gruppe Showcase Beat Le Mot blieben davon verschont.“ Johanna Freiburg ergänzt: „Wir haben darauf reagiert, indem wir uns ausgezogen und das Licht im Zuschauerraum angemacht haben: So, jetzt sehen wir euch dabei zu, wie ihr uns anschaut. Wenn ihr euch jetzt nicht mehr zu fragen braucht, wie wir wohl nackt aussehen, können wir auch anfangen zu reden!“ Immer wieder waren Selbstzweifel, Schamgefühle und das Machtgefüge im Theaterraum in She She Pops Game- oder Revue­formaten Gegenstand und aggressiv ausgespieltes Mittel ihrer Überwindung. Einige Mitglieder wurden Mütter und gründeten Familien, andere nicht: Theoretisch auch das eine Belastungsprobe für die Solidarität. „Wir haben versucht, unsere Arbeitsstrukturen in allen Bereichen so zu gestalten, dass wir uns untereinander ersetzen können“, erklärt Johanna Freiburg. „So touren wir etwa nicht immer in kompletter Besetzung, sondern wechseln uns ab.“

Diese Strukturanpassung trug, schöner Nebeneffekt, zur Professionalisierung der Truppe bei. Auch die Herkunftsfamilien rückten mit dem Übergang der eigenen Eltern ins Rentenalter wieder in den Fokus. Dass ausgerechnet die Inszenierung „Testament“ She She Pops erfolgreichste inszenierung wurde, hat für die Künstlerinnen aber auch einen bitteren Beigeschmack: „Weil es die erste Performance war, der mit ‚King Lear‘ ein kanonisches Drama zugrunde liegt – und weil wir zum ersten Mal mit älteren, weißen Männern, unseren Vätern nämlich, auf der Bühne standen.“ Wie schon in „Schubladen“, einer Art doppelbiografischen Rückschau von eingeladenen Ostfrauen und She She Poplerinnen, ermöglicht auch „Testament“ eine „utopische Kommunikation“, in der Väter und Töchter/Sohn über auch schmerzliche Empfindungen, Vorwürfe und Schuldgefühle sprechen können, wie es in der Realität kaum möglich wäre. Ähnlich in „Frühlingsopfer“ mit ihren Müttern, die als geisterhafte Videoerscheinungen gemeinsam mit den Bühnen­performer*innen Strawinskys „Sacre du Printemps“ proben. Auch visuell erlangte das Kollektiv in Zusammenarbeit mit Videokünstler Benjamin Krieg und Kostümbildnerin Lea Sovso eine neue Komplexität – wie überhaupt Kollaborationen mit anderen Institutionen und Künstler*innen neue Spielfelder eröffnen. Tatsächlich stand die „autobiografische Methode“ – das kann man in She She Pops gerade erschienenem Band „Sich selbst fremd werden. Beiträge zu einer Poetik der Performance“ nachlesen – bereits zu Anfang von She She Pops Geschichte.

Eigene Qualität

Schon in der Semesterarbeit „Sesam, Sex und Salmonellen“ (1993) – Gründungsmoment des Kollektivs – ließen die Performerinnen eigene Kinderbriefe und Tagebucheinträge untereinander kursieren. „Wir hatten damals gerade Marina Abramović’ ‚The Biography‘ gesehen“, erinnert sich Berit Stumpf. „Das war elektrisierend, zumal in Gießen vor allem Robert Wilson und Heiner Müller als Avantgarde-Genies verehrt wurden. So weit wie Abramović wäre keine von uns allein gegangen. Aber zusammen konnten wir es, und es entstand eine eigene Qualität.“ Auch Spuren anderer weiblicher Vorbilder vorzugsweise aus der bildenden Kunst finden sich in She She Pops Werk, etwa die selbstgestellten „Aufgaben“ von Sophie Calle und Cindy Shermans collagierte Selbstporträts.

Dass die autobiografischen Anteile des Kollektivs wenig mit narzisstischer Nabelschau gemein haben, aber umso mehr mit den Erfahrungen einer Generation, merkt man nicht zuletzt an der eigenen Involviertheit. Und wenn She She Pop in ihrer jüngsten Produktion „Oratorium“ Erb*innen- und Nicht­erb*innen im Publikum und auf der Bühne mit ihren je unterschiedlichen Eigentums­verhältnissen konfrontieren, spiegeln die offen formulierten Scham- und Neidgefühle nicht nur Spannungen im eigenen Freundeskreis, sondern auch tiefe gesellschaftliche Spaltungen. Zugleich zeigte sich in dieser Produktion aber auch, dass die „utopische“ Theatersituation She She Pop mitunter dazu verführt, Konflikte allzu modellhaft aufzulösen, hier etwa im ­gemeinsamem Summen von Per­­former*innen und Publikum.

Wenn She She Pop sich diese Woche im Berliner HAU mit einer Geburtstagsgala feiern, hat man die seltene Gelegenheit, ein halbes Dutzend erfolgreicher, unabhängiger Theaterkünstlerinnen auf einen Schlag zu bewundern. Denn sosehr She She Pop vor allem in der freien Szene stilprägend waren – sowohl was die autobiografische Methode als auch das Arbeiten im Kollektiv betrifft –, in der mit Künstlerinnen skandalös unterversorgten Stadttheaterszene werden sie gern als spektakuläre Ausnahme zitiert. Johanna Freiburg und Berit Stumpf wundert das nicht: „Bei unseren Kollabora­tio­nen mit dem Stuttgarter Theater und den Münchner Kammerspielen haben wir gemerkt, wie schwer Arbeitsteiligkeit und darauf ausgerichtete Regelwerke wirklich emanzipiertes Arbeiten auf Augenhöhe machen.“

Umso schöner, dass She She Pop eine Verheißung bleiben, die schon an der nächsten biografischen Etappe wartet: Eine Performance rund um die Menopause ist schon in Planung.

Bis 6.10. sind diverse Stücke von She She Pop im Hebbel Theater Berlin zu sehen;

Johannes Birgfeld (Hrsg.). „She She Pop: Sich fremd werden. Drei Beiträge zu einer Poetik der Performance“, Alexander Verlag, Berlin 2018, 152 Seiten, 16 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen