die woche in berlin
:

Berlin investiert in einen eigenen S-Bahn-Fuhrpark. SPD-Bildungs­senatorin Sandra Scheeres ist als Schülerin Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden und spricht öffentlich darüber. Hubertus Knabe ist als Leiter der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen nicht länger tragbar. Und bei dieser Zeitung war früher nicht alles besser, findet unsere Volontärin im Rückblick auf den 40. Geburtstag der taz

Sägen am privaten Monopol

Berlin kauft S-Bahn-Fahrzeugpool

Manche BerlinerInnen, vor allem Neuzugänge und notorische Autofans, wundern sich immer wieder, wenn sie erfahren, dass BVG und S-Bahn nicht dasselbe sind. Dass Erstere komplett dem Land Berlin gehört und Letztere der S-Bahn Berlin GmbH, einer privaten Gesellschaft im DB-Konzern. Es gibt für diese Trennung auch keine logischen, nur historische Gründe. Organisatorisch und finanziell wäre es für das Land klar von Vorteil, würde ihm auch die S-Bahn gehören.

Das wird so schnell nicht passieren. Die Bahn-Tochter macht nach der einigermaßen überstandenen Krise, die vor bald zehn Jahren losbrach, wieder gute Gewinne. Und zwar, obwohl ihr Jahr für Jahr ein paar Millionen durch die Lappen gehen, die ihr der Senat nicht zahlt, weil Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit weiterhin zu wünschen übrig lassen. Mehr noch: Der Verkehrsvertrag, mit dem sich die GmbH 2015 den Betrieb der Ringbahn (eines von drei Teilnetzen) bis 2036 sicherte, kommt die BerlinerInnen teurer als die Vorgängervereinbarung.

Jetzt aber sägt Rot-Rot-Grün am privaten Monopol auf den S-Bahn-Gleisen: Die Koalition hat beschlossen, dass alle neuen Züge, die in Zukunft auf den anderen beiden Teilnetzen Stadtbahn und Nord-Süd-Bahn fahren werden, Landeseigentum sein sollen. Sie kommen in einen sogenannten Fahrzeugpool, aus dem sich dann der oder die Betreiber bedienen können.

Das ist gut, denn damit hat das Land die technische Qualität der Bahnen besser unter Kontrolle. 2009 war es ja zur Krise gekommen, weil es die DB-Sparfüchse mit der Wartung der Züge nicht mehr so genau genommen hatten. Es kann aber auch finanziell vorteilhaft sein: Die gewaltigen Investitionen, die die anstehende Erneuerung des Fuhrparks bedeutet, können kleinere Anbieter als die DB kaum stemmen. Wenn garantiert ist, dass das Land die Kosten trägt und diese nicht langfristig über den Betrieb hereingeholt werden müssen, kann hier mehr Wettbewerb stattfinden – und der könnte für Berlin den Preis drücken.

Aber Wettbewerb ist auch nicht alles. Problematisch erscheint die von den Grünen durchgesetzte Möglichkeit, dass im Rahmen der Vergabe verschiedene Firmen bei Beschaffung und Betrieb zum Zuge kommen können. Sprich, eine ordert und wartet die Züge, mit denen die andere herumfährt. Im schlimmsten Falle sind das die sprichwörtlichen beiden Hände, von denen die eine nicht weiß, was die andere tut.

Claudius Prößer

Mit gutem Beispiel voran

Bildungssenatorin über sexuelle Gewalt

Sandra Scheeres überraschte am Mittwoch mit einer sehr persönlichen Geschichte. Auf einer Pressekonferenz erzählte die Bildungssenatorin von der SPD, dass sie als Achtklässlerin Opfer eines sexuellen Übergriffs wurde. „Da haben mich einfach mal vier Jungs in den Keller geschleppt, mir die Arme festgehalten und mich begrabscht“, sagte Scheeres. Ein sensibler Lehrer habe das zum Glück aufgegriffen und sich um sie gekümmert. Heute ist Scheeres 48 Jahre alt. Das Erlebnis von damals habe sie immer noch im Kopf, sagte sie.

Ihr Bericht passte zum Thema des Pressegesprächs: Scheeres verkündete gemeinsam mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung Johannes-Wilhelm Rörig den Beginn der Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“ in Berlin. LehrerInnen und ErzieherInnen bekommen Fortbildungen und Infomaterialien. Sie sollen gemeinsam mit den SchülerInnen ein Schutzkonzept entwickeln, um bei Anzeichen eines Missbrauchs – sei es durch Jugendliche, sei es durch Erwachsene – vorbereitet zu sein. Ziel ist es, für sexuelle Gewalt zu sensibilisieren und einen offenen Umgang mit dem Thema zu finden, statt wegzusehen.

Sandra Scheeres ging am Mittwoch mit gutem Beispiel voran. Mit ihrem persönlichen Bericht zeigte sie allen Betroffenen: Es ist nichts Ehrenrühriges daran, Opfer eines solchen Übergriffs geworden zu sein. Mit Schwäche hat das nichts zu tun, so etwas kann auch einer passieren, die Karriere macht und Senatorin wird. Und ja, man kann darüber ohne Gesichtsverlust sprechen.

Scheeres ist wahrlich nicht die Erste, die in den letzten Monaten mit der Schilderung eines sexuellen Übergriffs in die Öffentlichkeit ging. Schon möglich, dass erst die #MeToo-­Debatte ein Klima geschaffen hat, in dem sich Frauen wie Scheeres nach vorne wagen. Trotzdem ist auch ihr Bericht wichtig. Nur wenn sich viele zu sprechen trauen, rückt das Thema Stück für Stück aus der schambesetzten Zone. Scheeres hat am Mittwoch dazu beigetragen. Antje Lang-Lendorff

Nur wenn sich viele zu sprechen trauen, rückt das Thema Missbrauch aus der schambesetzten Zone

Antje Lang-Lendorff über Bildungssenatorin Sandra Scheeres’ Schilderung eines persönlich erlebten sexuellen Übergriffs

Knabe raus aus Stasiknast

Gedenkstätte bekommt neue Leitung

Praktisch unangefochten bestimmte Hubertus Knabe 17 Jahre lang den Kurs der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Seinen Führungsstil und die gelegentlichen politischen Querschüsse des Historikers als „streitbar“ und „kontrovers“ zu bezeichnen ist beinahe euphemistisch. Als tapferer kalter Krieger verfocht Knabe mit der Autorität seines Amtes eine krude Huf­eisen­theorie, also die empirisch kaum zu begründende Gleichsetzung von rechts und links.

Dass er damit der Gedenkstätte und ihrem Ruf schweren Schaden zufügte, hat Knabe selber natürlich nie so wahrgenommen. Der Kulturkampf um die Deutung der DDR-Vergangenheit wurde in einer Art geführt, die eine würdige Erinnerung an die Verbrechen der Diktatur in den Hintergrund drängte.

Den Gremien der Gedenkstätte und ihren Finanziers in Bund und Land fehlte über anderthalb Jahrzehnte offenbar Kraft und Wille, dagegen vorzugehen. Gefallen ist Knabe nun am Dienstag über einen anderen, viel zu lange laufenden Skandal: den eines strukturellen Sexismus im Arbeitsumfeld der Gedenkstätte. Es ist keine Frage, dass die bekannt gewordenen Vorwürfe die Entlassung des Direktors dreimal rechtfertigen würden. Dass es aber diese brauchte, um den Stiftungsrat zu einer einstimmigen Entscheidung zu bringen, ist ein wenig enttäuschend.

Nichtsdestotrotz ist es gut, dass das Drama zu einem Ende gekommen ist. Die Entscheidung, die frühere Bundesbeauftragte für Stasiunterlagen Marianne Birthler für den Übergang als Vertrauensperson für die MitarbeiterInnen der Gedenkstätte einzusetzen, macht Hoffnung. Hoffnung, dass es der Stiftung ernst ist, einerseits alles für ein respektables Arbeitsklima zu tun und andererseits die Gedenkstätte als wichtiges Zen­trum der Erinnerungsarbeit zu erhalten.

Von entscheidender Bedeutung für die kommenden Monate ist nun ein transparenter Prozess der Nachfolgesuche für die Leitung der Gedenkstätte. An deren Ende muss eine Person gefunden sein, die von Opferverbänden, Wissenschaft und Politik gleichermaßen respektiert werden kann. Ihre Aufgabe wird es sein, die MitarbeiterInnen mitzunehmen auf einen Weg, auf dem die Gedenkstätte wieder zu einem Ort wird, wo Ideologie und ihre Verbrechen zwar schonungslos dargestellt werden, aber ohne sich dabei selber in fragwürdigen Gedankengebilden zu verlieren.

Daniél Kretschmar

Zum 40. ein paar Patriarchen

Freundliche Übernahme der tageszeitung

Eigentlich wollte ich mich zwingen, nicht so zu fühlen, wie ich es dann doch getan habe. Aber als die taz-Produktion am Mittwoch zum 40. Geburtstag der Zeitung von 43 Gründer*innen übernommen wurde, konnte ich nicht anders. Ich wurde neidisch. Früher hätten sie sich einfach einen Joint gedreht, wenn eine Seite nicht fertig wurde, sagten die Altredakteur*innen, das hätte sie beruhigt, so hätte es viel weniger Stress gegeben. Einen Namen wie Volker Kauder, den diese Woche entthronten Ex-CDU/CSU-Fraktionschef, hätten sie überhaupt nicht gekannt. Und dass die Hauptstadt der Republik Bonn hieß, das hätten sie vielleicht am Rande mitbekommen, weiter interessiert hätte es sie dann aber nicht.

Wie großartig das klingt. Auch, als die einstige Frauenredakteurin erzählt, wie sie früher mit ihren schrottigen R4s über Straßen gebrettert seien, die gar keine waren, um die Zeitungen zur Flughafenfracht zu bringen. Wie viel wilder sie diskutiert hätten, wie viel radikaler und rücksichtsloser. Und wie sie sich stritten, ja, so viel stritten und dann streikten, die Frauen, weil sie mehr wollten, als sie bekamen.

Und dann, während Gitti Hentschel, die damals die Frauenseiten in der taz mitbegründet hat, das erzählt, bekomme ich dieses Gefühl, das sich unter den Neid mischt. Ich glaube, es ist Erleichterung, heute nicht mehr um jeden frauenbewegten Text, der in der Zeitung erscheinen soll, kämpfen zu müssen. Zwar habe es immer auch Männer gegeben, die sie unterstützt hätten, und wahrscheinlich war es in der taz immer schon weniger schlimm als anderswo, sagt Hentschel – und doch.

Und doch bekam ich die Gewissheit, dass dieses Gefühl, das ich am Mittwochmorgen zum ersten Mal in der von den Grün­de­r*in­nen gekaperten Konferenz hatte, stimmt: Vieles ist im Vergleich zu damals auch viel besser geworden. Ich glaube, dass kein taz-Redakteur einer Kollegin mehr einfach über den Mund fahren würde. Oder, falls doch, dass dies zumindest nicht unwidersprochen bleiben würde.

Die Alphamännchen von damals verbargen übrigens gar nicht, wie alphamännlich sie einst waren und heute immer noch sind. Als sie am Morgen von einem Redakteur gefragt wurden, ob der Twitter-Hashtag Gründertaz oder GründerInnentaz heißen soll, lachten sie einmal auf, entschieden sich gegen diesen „Quatsch“ mit dem Binnen-I und sagten, man(n) habe früher auch erst entschieden und dann diskutiert.

Wie es ein Kollege von mir gestern formulierte: Auch die taz hatte ihre „patriarchalen Missverständnisse“. Hanna Voß