: Vizemeister, mindestens
Die Erwartungen an die Basketballer von Alba Berlin in der neuen Saison sind riesig. Trainer Aítos Kader, zu dem diesmal wieder viele bekannte Gesichter gehören, muss Titel liefern
Von Nicolas Sowa
Mit gemischten Gefühlen starten die Basketballer von Alba Berlin in die neue Saison. Denn die starke letzte – mit der Vizemeisterschaft und dem Erreichen des Pokalfinales – ist Segen und Fluch zugleich. Fluch, weil der „Druck von innen und außen“ gestiegen ist, wie Manager Marco Baldi glaubt. Alle erwarten den nächsten Schritt von den Berlinern. „Mindestens wieder die Vizemeisterschaft“, vermutet Trainer Alejandro „Aíto“ García Reneses. Weniger wäre ein Rückschlag, die Erwartungshaltung ist riesengroß. Baldi warnt: „Wir stehen vor einer sehr schwierigen Saison.“
Entsprechend zurückhaltend gibt man sich auch bei den Saisonzielen: In der Meisterschaft will man mindestens ins Halbfinale kommen, im Eurocup – er entspricht der Europa League im Fußball – will man weiter kommen als in der vergangenen Saison, als man in der zweiten Gruppenphase ausschied. Von einem Titel spricht keiner der Verantwortlichen laut, man versucht den Druck kleinzuhalten. Auch wenn Baldi zugibt, dass die Titelsehnsucht „riesengroß“ ist.
Die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Jahr sind aber da. Denn im Vergleich zum letzten Jahr, als Aíto ein komplett neues Team aufbauen musste, konnte diesmal das Gros der Mannschaft gehalten werden. „Das macht es in jedem Fall einfacher“, glaubt Kapitän Niels Giffey. Der Trainer kann auf einen festen Kern zurückgreifen, der seine Spielphilosophie kennt. „Man hat dieses Jahr von Beginn an eine ganz andere Atmosphäre. Zuvor musste sich jeder erst einmal umgucken und seinen Platz im Team suchen.“
Für die Fans ist es aber ein ungewohntes Gefühl, so viele bekannte Gesichter wiederzusehen. War doch die größte Konstanz der letzten Jahre bei Alba die hohe Fluktuation im Kader. „So eine Kontinuität hatten wir zuletzt vor zehn Jahren“, freut sich deshalb auch Präsident Axel Schweitzer. Um das realisieren zu können, wurde der Spieleretat erneut um 20 Prozent angehoben. „Das war ein Kraftakt für uns“, erklärt Baldi. „Wir haben nun mal keinen Fußballklub oder Mäzen im Rücken“, ergänzt er. Die Etats von Meister Bayern München oder Bamberg liegen aber immer noch deutlich über dem der Berliner.
Alba Berlin startet am Sonnabend um 18 Uhr mit einem Heimspiel gegen Science City Jena in der Arena am Ostbahnhof in die neue Bundesliga-Saison. Am Dienstag um 20 Uhr dann geht es für die Berliner gegen Tofaş Bursa aus der Türkei in die Eurocup-Saison – ebenfalls mit einem Heimspiel.
Kapitän ist erneut der gebürtige Berliner Niels Giffey. Ein wichtiger Kopf ist auch der US-Amerikaner Luke Sikma, der letzte Bundesliga-Saison zum wertvollsten Spieler der Liga gewählt wurde.
Mit den sechs Nachwuchskräften (alle mit Doppellizenz) umfasst der Alba-Kader insgesamt 17 Spieler. Mit ihnen hat Alba einen Schnitt von 22,6 Jahren und ist so das jüngste Team der Liga.
Mit Spencer Butterfield, Marius Grigonis, Akeem Vargas und Bogdan Radosavljevic haben vier Spieler den Verein im Sommer verlassen. Sie wurden durch Martin Hermannsson (Chalons-Reims), Rokas Giedraitis (Lietuvos Rytas Vilnius) und die beiden deutschen Akteure Johannes Thiemann (Ludwigsburg) und Kenneth Ogbe (Utah Valley) ersetzt. „Das sind die Spieler, die wir haben wollten“, freut sich Sportdirektor Himar Ojeda. Für die Zusammenstellung des Kaders war die gute letzte Saison deshalb ein echter Segen. Vor allem durch die offensive attraktive Spielart wird Alba national und international nun ganz anders wahrgenommen. „Es ist einfacher für uns geworden, Spieler zu holen, einfacher als noch ein Jahr zuvor“, sagt Ojeda.
Aíto zieht Talente an
Nun kommen auch Akteure, die sie vor einem Jahr noch nicht bekommen hätten. Wie das isländische Talent Hermannsson. Der 24-Jährige hatte deutlich lukrativere Angebote – auch von Euroleague-Teilnehmern – entschied sich aber für Berlin. Ein wichtiger Punkt war einmal mehr Trainer Aíto. Auch für den deutschen Nationalspieler Johannes Thiemann: „Er ist überragend, von ihm kann man sehr viel lernen“, sagt er. „Hier gibt es gute Chancen, sich weiterzuentwickeln.“ Schon vergangene Saison hat jeder Alba-Spieler einen Schritt nach vorn gemacht. „Darauf wird sehr viel Wert gelegt. Und ich bin noch nicht am Ende meiner Entwicklung“, so Thiemann weiter.
Zudem setzt Alba auf die Jugend. „Das ist unsere Philosophie“, so Himar Ojeda. Deshalb haben mit Franz Wagner (17), Hendrik Drescher (18), Bennet Hundt (20), Lorenz Brenneke (18), Jonas Mattisseck (18) und Kresmir Nikic (19) gleich sechs Nachwuchskräfte eine Doppellizenz. Sie können sowohl bei Alba, als auch beim Kooperationspartner Lok Bernau in der zweiten Liga spielen. Vormittags trainierten sie in Berlin, nachmittags dann in Bernau. Schon in der Saisonvorbereitung bekamen die Youngster viel Spielzeit in den Alba-Testspielen.
Alba-Präsident Axel Schweitzer
Das war aber auch einer gewissen Not geschuldet. Denn erst verletzten sich Nationalspieler Joshiko Saibou und Center Dennis Clifford, dann mussten mit Giffey, Thiemann (beide Deutschland), Giedraitis (Litauen) und Hermannsson (Island) gleich vier Akteure zu ihren Nationalteams abgestellt werden. Beim Testspiel in Oranienburg gegen Vechta standen plötzlich nur noch vier Profis im Kader. „Eine richtige Vorbereitung war gar nicht möglich. Es ist praktisch so, dass man bestraft wird, Nationalspieler zu haben“, sagt Baldi.
Zeitweise hatte Alba keinen Center im Kader, Khris Lane aus Bernau musste aushelfen. Der ist aber mittlerweile wieder zu seinem Stammverein zurückgekehrt und für zwei Monate wurde der US-Amerikaner Clint Chapman verpflichtet, solange Clifford ausfällt.
Die chaotische Vorbereitung hat Spuren hinterlassen. Vor allem für die Spieler war die Umstellung nicht leicht. „Das Schwierige ist, dass du keine Konstante hast. Man springt viel hin und her, bei Alba werde ich anders eingesetzt als in der Nationalmannschaft. Aber gerade in der Vorbereitung willst du ja den Kopf aufbauen“, verrät Giffey. Der war zuletzt in den beiden letzten Testspielen in Saragossa (70:92) und Vitoria (77:87) noch nicht frei. „Wir haben durch die Abstellungen unsere Teamchemie, unsere Konzentration und unseren Rhythmus verloren“, findet Ojeda. Bis zum Bundesliga-Auftakt am Samstag müssen sie sie wiederfinden.
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