piwik no script img

Geschwister zahlen doppelt

Mit der gebührenfreien Kita wollte die niedersächsische Landesregierung Familien eigentlich entlasten, nun holt sich die Stadt Hannover das fehlende Geld auf einem Umweg zurück

Von Gareth Joswig

Eigentlich sollte die kostenlose Kita niedersächsische Familien entlasten. In Hannover will sich die Stadt das Geld allerdings auf einem Umweg zurückholen: Hier erhöhen sich nun die Krippenbeiträge für Eltern mit mehreren Kindern. Weil der Stadt sonst 1,6 Millionen Euro fehlen würden, soll die Ermäßigung für Geschwisterkinder in den noch immer gebührenpflichtigen Krippen künftig beim zweiten Kind wegfallen.

Bisher mussten Eltern fürs zweite betreute Kind weniger zahlen, nun sollen sie unter Umständen sogar das Doppelte hinlegen – einkommensabhängig bis zu 320, statt bisher 160 Euro. Eine entsprechender Vorschlag der Verwaltung wurde Anfang der Woche im Jugendhilfeausschuss diskutiert und soll demnächst umgesetzt werden.

„Die Bildung eines Kindes darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen“, steht prominent auf der Seite der niedersächsischen SPD unter der Erfolgsmeldung, dass Kita-Gebühren seit dem 1. August 2018 landesweit abgeschafft sind. Die Große Koalition in Niedersachsen hatte sich mit diesem Wahlversprechen auch gegen erhebliche Kritik aus dem niedersächsischen Städtetag durchgesetzt. Dort hatte Widerstand von Kommunen und Städten dazu geführt, dass das Land zumindest höhere Kompensationszahlungen von 1,4 Milliarden Euro und einen Härtefallfonds zur Kitafinanzierung besonders klammer Kommunen schaffen wollte.

Der Härtefallfonds aber liegt bis auf Weiteres auf Eis und an der Umsetzung mit der neuen Beitragsordnung hapert es noch in vielen Einrichtungen und Kommunen. Das Kita-Jahr läuft erst seit August, aber bereits Ende vergangener Woche hatten freie Träger von Kindertageseinrichtungen auf erhebliche finanzielle Engpässe hingewiesen. Insbesondere teurere Einrichtungen wie Waldorf-, Montessori- und Eltern-Initiativen, für die Gebührenfreiheit gleichermaßen gilt, hatten von drohenden Insolvenzen berichtet, weil Kommunen nun auftretende Fehlbeträge nicht ausglichen.

Nun stößt auch noch der Wegfall der Geschwisterermäßigung für das zweite Kind in Hannover auf Kritik. Die Elternvertreterin Sarah Hohenbrink sagte in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, dass die geplante Regelung Eltern mit zwei oder mehr Kindern benachteilige, die so nur teilweise von der Beitragsfreiheit profitieren könnten.

Julia Willie Hamburg von der oppositionellen Grünen-Fraktion im niedersächsischen Landtag sieht das ähnlich kritisch: Sie nennt die hannoversche Regelung eine „Krippenfernhalteprämie“ und bemängelt, „die schnelle Einführung der Gebührenfreiheit hat erhebliche Nebenwirkungen vor Ort – das wurde sehenden Auges in Kauf genommen“. In ärmeren Kommunen wie Helmstedt und Cuxhaven würden die zur Kompensation gestellten Landesmittel nicht ausreichen, auch der versprochene Härtefallfonds sei noch nicht vorhanden.

Zudem seien die Kompensationsmittel befristet. Wie die Lücken danach geschlossen werden sollten, sei fraglich: „Das Land muss mehr Geld zur Verfügung stellen und eine ehrliche Bestandsanalyse machen“, so die Grüne. Sie glaubt, dass auch andere Kommunen nachziehen werden und ebenfalls die Krippengebühren erhöhen.

„Die schnelle Einführung der Gebührenfreiheit hat erhebliche Nebenwirkungenvor Ort“

Julia Willie Hamburg, Landtagsabgeordnete der Grünen

Günter Schnieders vom niedersächsischen Städtetag hält die Pläne der Stadt dagegen für vollkommen legitim: „Die Geschwisterermäßigung wurde von vielen Kommunen auf freiwilliger Basis gewährt, um Eltern mehrerer Kinder zu entlasten.“ Die seien nun aber durch die Beitragsfreiheit ausreichend entlastet, sodass „natürlich die Geschwisterermäßigung nicht mehr gelten kann“. Ob die Neuregelung Eltern abgeschrecke oder nicht, das sei die Entscheidung der Eltern, so Schnieders.

So ähnlich begründet auch Hannovers parteilose Bildungsdezernentin Rita Maria Rzyske die Pläne: „Von einem Wegfall der Geschwisterermäßigung kann keine Rede sein“ – schließlich seien das dritte und weitere Kind komplett beitragsfrei. Und Eltern mit zwei Kindern, die einen Sprössling in der Krippe und einen im Kindergarten haben, zahlten immer noch 150 Euro weniger als zuvor.

Das für Bildung zuständige Kultusministerium des Landes will die Entscheidung der Landeshauptstadt auf taz-Anfrage nicht kommentieren. Mit den kommunalen Spitzenverbänden sei ein fairer Ausgleich erzielt worden. Auch am noch nicht bestehenden Härtefallfonds wolle man festhalten – allerdings soll dieser erst 2019 aus Bundesmitteln im Rahmen des „Gute-Kita-Gesetztes“ bezahlt werden.

Mit Kitas, die Zahlungsschwierigkeiten hätten, sei man im Austausch, um Ursachen und mögliche Lösungen zu ergründen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen