piwik no script img

Und dann ist da ein Song

Wie kommt Musik in die Welt? Welchen Weg gehen Töne? Wie entsteht aus dem Zusammenspiel von Musiker*innen mehr als die Summe einzelner Teile? Einige Antworten darauf gibt die Uraufführung des Projekts „LiederLauschen Labor“ am Donnerstagabend

Von Stephanie Grimm

„Imagine Waking Up Tomorrow and All Music Has Disappeared“: Diesen Titel trug vor drei Jahre ein Dokumentarfilm über Bill Drummond. Darin unternimmt der ehemalige Sänger der Dancepopband KLF eine Reise, ausgehend von genau dieser Überlegung. Wie sähe eine Welt aus, aus der über Nacht alle Musik verschwunden ist?

Fängt man erst einmal an, darüber nachzudenken, ist ein andere Überlegung genauso faszinierend: Wie kommt Musik in die Welt, welchen Weg gehen Töne, bis sie das Ohr ihrer Zuhörer erreichen? Oder, anders ausgedrückt: welche Konditionierungen durchläuft eine Idee, bis daraus ein Song wird? Und worin besteht die Magie, die – im Idealfall – dafür sorgt, dass aus dem Zusammenspiel von Musikern mehr als eine Summe der einzelner Teile wird? Wie entstehen Synergieeffekte?

Einige Antworten auf diese Frage bietet das Liederlauschen-Labor. Der Berliner Uraufführung des Projekts, das illustriert, wie aus einem Song durch den Input anderer Musiker ein anderer Song werden kann, lässt sich am heutigen Donnerstag beiwohnen. In der Kulturbrauerei werden die Stücke vorgestellt, die das Liederlauschen-Labor erarbeitet hat und die eine bisweilen erstaunliche Metamorphose durchlaufen haben.

Doch was genau ist das Liederlauschen-Labor? Jedes Jahr im Spätsommer findet seit mittlerweile elf Jahren auf dem Helmholtzplatz im Prenzlauer Berg das Liederlauschen-Festival statt, eine sympathische Umsonst&Draußen-Veranstaltung, bei der jeweils ein gutes Dutzend ganz unterschiedlicher Musiker und Bands spielen: „Eigentlich geht bei uns fast alles, von Elektro bis Folk, außer allzu extreme Musik. Metal oder Hardcore-Punk ist vielleicht nicht kompatibel mit dem Ort und der Atmosphäre, die wir schaffen wollen“, erklärt Christian Eckert, Initiator des Festival und, zusammen mit Lea Dittbrenner, zugleich Produzent des Labor.

Viele empfehlen das Festival dann anderen Musikern, weil die Atmosphäre so gut ist, erzählt Eckert. Über die Jahre ist so ein beachtlicher Pool an ehemaligen Teilnehmern entstanden. Vergangenes Jahr fragte dann das Theater am Rand bei Liederlauschen an, ob sie nicht so eine Art Best-of-Programm zusammenstellen wollen, um damit zu Himmelfahrt das Theater an der Zollbrücke im Oderbruch zu besuchen?

Eine gecastete Band

„Weil es nicht so einfach war, ein Jahrzehnt Festivalgeschichte in ein 90-minütiges Programm zu verpacken, entstand die Idee mit dem Labor.“ Aus dem großen Musikerpool haben die Initiatoren sieben ausgewählt, die es nicht nur musikalisch drauf haben, sondern auch, was die Kommunikation angeht – untereinander sowie in Richtung Publikum. Und natürlich musste es auch von der Instrumentenbesetzung passen. Also eine gecastete Band – mal unter anderen Vorzeichen.

Und es gab ein Motto: „Stadt – Land – Heimat“. Was sich als durchaus anregender Arbeitstitel erwies: Schließlich machten die größtenteils städtisch verwurzelten Musiker in dem Fall ihr Programm für ein Theater in der Provinz – wo einige ursprünglich auch herkommen. Wo liegen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Stadt- und Landleben? Und ist der Prenzlauer Berg, wo das Festival eigentlich zu Hause ist, überhaupt noch Heimat oder ist die Vertrautheit mittlerweile weg gentrifiziert?

Jeder dieser teilnehmenden Musiker hat einen Song aus dem eigenen Repertoire in die Laborsituation mitgebracht und arbeitete dann sieben Tage, losgelöst von seinen oder ihren üblichen Arbeitsstrukturen, mit den anderen daran. „Bis dato waren sich einige von ihnen allenfalls mal begegnet, zusammen musiziert hatten sie jedoch noch nicht.“

Etwa die sich auf klassischen Songwriterterrain bewegende Sängerin Teresa Bergman, die beim Liederlauschen-Festival schon dreimal dabei war. Auch Eric Michaelis arbeitet mit seiner Stimme, stellt diese aber für gewöhnlich in den Dienst harter Rockmusik. Karla Hajman bewegt sich als Miss Stereochemistry zwischen satirischem Songwriting und Stand-Up-Comedy und Motitz Eickworth, der sonst mit der Combo Riders Connection unterwegs, ist Beatboxer. Schlagzeug spielt Jürgen Meyer (Make A Move, Bobby Rausch). Und Karen Bolage, sonst in diversen Formationen, etwa The Benja Men unterwegs, steuert Gitarre und Klavier bei. Angeleitet wurden sie von Sebastian Arnold, der sonst Clubmusik macht.

Eckert und alle anderen, die am Labors beteiligt waren, sind fasziniert vom Ergebnis: „Es sind durch die Arbeit an den Songs regelrecht neue Musikstile entstanden“. Auch im Theater am Rand stieß das erarbeitete Programm auf großen Zuspruch. Die Macher hatten soviel Spaß, dass das nächste Labor bereits in Planung ist.

Höchste Zeit also, die Songs dort aufzuführen, wo das Liederlauschen seine Homebase hat – um die Ecke vom Helmholtzplatz. Eckert freut sich bei dem bevorstehenden Auftritt auch über „die Magie des Ungewissen. Die Musiker spielen ja sonst nicht zusammen, insofern kommt das alles recht roh auf die Bühne. Aber allesamt sind sie wirklich gute Musiker, insofern habe ich keine Angst, dass es nach hinten losgeht.“

Und damit auch das Publikum die Entwicklung der Stücke nachvollziehen kann, gibt es bei der Präsentation auch kurze Filme, die die Stücke vorstellen: wer sie ursprünglich geschrieben hat und wie sie klangen, bevor sie im Labor ihre neue Form erhielten.

Man kann hier also tatsächlich nachvollziehen, wie ein Stück Musik in die Welt kommt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen