: Ganz großes Tennis
Beim Laver Cup gibt es keine Ranglistenpunkte. Aber die Profis hängen sich auf dem Court rein, wie sonst nur selten. Und das Publikum genießt Weltklassesport
Aus ChicagoDoris Henkel
Manchmal war es in der riesigen Halle fast so laut wie früher bei den US Open in New York, als noch regelmäßig die Flieger übers Stadion dröhnten. Nach drei aufregenden, ereignisreichen und höchst belebenden Tennistagen mit mehr als 93.000 Zuschauern im United Center von Chicago waren es wieder die Europäer um Roger Federer, die sich am Ende aus dem riesigen Pokal mit Schampus übergossen.
Aber noch belebendere Wirkung hat der Laver Cup an sich. Aus der Sicht der Fans ist er ein unglaubliches Ding; sie sehen mehr der besten Spieler der Welt an einem Nachmittag oder Abend als bei jedem berühmten Turnier, und sie sehen einzigartige Doppelkombinationen wie die von Federer und Novak Djokovic.
Vielleicht fehlte dem Doppel des Schweizers diesmal die verklärende Note vom vergangenen Jahr beim Auftritt mit Rafael Nadal, aber bei der Partie mit Djokovic gegen den Südafrikaner Kevin Anderson und Jack Sock aus den USA war die Halle bis unters Dach mit Elektrizität gefüllt. Adrenalin rauf und runter sei der für ihn gewesen, sagte der Amerikaner Frances Tiafoe.
Vielleicht sieht es aus der Entfernung so aus oder hört sich so an, als redeten die Spieler ein bisschen zu oft darüber, was ihnen die Tage im Kreis der Mannschaften aus Europa oder vom Rest der Welt bedeuten und wie toll das alles sei. Doch aus der Nähe betrachtet gewinnen diese Geschichten schnell an Glaubwürdigkeit. David Goffin, der eher stille Belgier, schwärmte: „Sie können sich nicht vorstellen, wie gut es ist, Zeit mit diesen Legenden und zukünftigen Legenden zu verbringen. Sicher, wir haben den Pokal gewonnen, aber ich habe in dieser Woche mehr als das gewonnen.“ Und wenn man ihm bei diesen Sätzen in die Augen sah, dann war ein gewisses Zeichen von Rührung nicht zu übersehen.
Mehr als 40 Wochen im Jahr zieht der Tennistross durch die Welt, sind die Spieler in allererster Linie auf sich selbst konzentriert. Das ist auf die Dauer ein harter und oft auch einsamer Kampf. In den Tagen des Laver Cups – es ist ja fast eine Woche – erleben sie eine Form von Gemeinschaft, wie es sie sonst in Einzelsportarten nicht gibt, und zwar ein einer spielerischen, losgelösten Form, die über einer nationalen Komponente wie beim Davis Cup schwebt. Für Leute wie den Australier Nick Kyrgios, der auf den weiten Wegen durch die Welt immer mal wieder die Orientierung verliert, ist der Wettbewerb ein Segen. „Am liebsten“, so sagt er, „würde ich nur solche Turniere spielen.“
John Isner
Und gerade weil es um die Mannschaft und um die Jungs geht, die einem nach ein paar Tagen schon überraschend nahe sind, verpufft der Vorwurf, dieser Wettbewerb habe keinen sportlichen Wert. Wer kann allen Ernstes glauben, einer der Kandidaten würde sich mit 70 Prozent Einsatz zufrieden geben, wenn draußen auf der Bank die Besten der Welt sitzen und ein Kapitän, der auch mal der Beste der Welt war? Als es darum ging, wie hoch die Ernsthaftigkeit dieses Wettbewerbs einzuschätzen sei, da antwortete der Amerikaner John Isner: „Ganz ehrlich – diese Frage nervt mich. Das ist ist kein Schaukampf, das ist hundert Prozent seriös.“
Der Laver Cup ist kein Turnier, aber auch kein Schaukampf, es gibt Antrittsgelder und Siegprämien, doch keine Punkte für die Weltrangliste. Aber vielleicht ließe sich daran ja irgendwann in der Diskussion, wie sich die diversen angedachten neuen Wettbewerbe des Welttennis nebeneinander entwickeln können, etwas ändern. Natürlich ist es Unfug, mit Bezeichnungen wie „die größte Trophäe des Tennis“ zu werben. Aber weil es noch nicht das richtige Wort zu geben scheint, sagt das noch lange nichts über die Qualität und den Spannungsbogen der ganzen Geschichte aus. Das Punktsystem funktioniert jedenfalls perfekt; diesmal fiel die Entscheidung der favorisierten Europäer im dritten Spiel des letzten Tages, und Alexander Zverev war der Mann, der mit dem Sieg über Kevin Anderson seinem Team die entscheidenden Punkte schenkte. Am Ende lag er platt auf dem Boden, die anderen oben drauf – auch Europa-Kapitän Björn Borg, der nach dem Matchball wie ein aufgedrehter Teenager losgerannt war.
Die nachhaltigsten Worte kamen am Ende wieder vom Kapitän des unterlegenen Teams. Wie vor einem Jahr in Prag beschrieb John McEnroe seine enge Verbindung zu diesem Wettbewerb und sagte dann: „Ich hoffe, dass wir dieses Ding nicht vermasseln. Ich hab keine Ahnung, warum manche Leute glauben können, der Laver Cup sei nicht gut fürs Tennis. Wenn sie das tun, dann sind sie nicht bei Trost.“
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