: War doch klar: ein Ehepaar
Sind Erni und Bert aus der Sesamtstraße schwul? Ein Drehbuchautor sagt ja, die Produzenten sagen nein. Gut, dass die Zuschauer einen eigenen Blick haben und selbst entscheiden
Von Jan Feddersen
Die Nachricht ist ungefähr so überraschend, als wäre berichtet worden, die Erde ist doch keine Scheibe. Oder, mehr ins praktische, vorstellbare Leben gebrochen: William Shakespeares Romeo und Julia seien ein heterosexuell orientiertes Paar gewesen, deren Liebesgeschichte tragisch endet. Tja, war das nicht sowieso bekannt? Überliefert ist also nun angeblich hochaktuell, Ernie und Bert, die beiden Jungs aus der Kinderserie „Sesamstraße“, seien vom Drehbuchautor immer schon als schwules Paar imaginiert worden.
So what?, möchte man anfügen, die New York Times hatte schon immer diese Frage erörtert. Auf CSDs gab es immer Leute, die sich als „Bert and Ernie“ (so die englischsprachige Bezeichnung dieses Paares) auffummelten. 2011 wurde eine Petition initiiert, in der gefordert wurde, Ernie und Bert in der „Sesamstraße“ endlich heiraten zu lassen. 2000 erschien im Wochenendmagazin der taz, dem taz.mag, eine Geschichte von Catharina Retzke, die mit einem Bild der beiden Puppen illustriert war.
Die Leser*innen dieser Zeitung reagierten damals, als CDU/CSU noch dachten, die „Ehe für alle“ werde nie und wirklich niemals zum Gesetz – was der Text der Autorin gegen die herrschende Meinung der Juristerei als möglich entwickelte –, freundlich, aber auch irritiert: „Müssen diese Figuren denn auch mit hineingezogen werden?“ Wohin, war klar: in die wirklich nicht nur sicht-, sondern auch sagbaren Liebes- und Ehedinge in aller Welt.
Zu lesen stand es in Queerty, einem Online-Nachrichtendienst: Dort wurde das ewige Gerücht in eine Nachricht verwandelt durch Mark Saltzmann, in den achtziger Jahren einer der Drehbuchschreiber der „Sesamstraße“, zuständig für die Geschichten um die beiden Männer namens Ernie und Bert. Die zwei Figuren seien in seinen Drehbüchern an seine eigene Beziehung mit Film-Cutter Arnold Glassman angelehnt gewesen. Die beiden waren mehr als 20 Jahre und bis zum Tod Glassmans im Jahr 2003 ein Paar. Saltzman bezeichnete Glassman in dem Interview als „Liebe meines Lebens“.
Ernie und Bert teilten sich in der „Sesamstraße“ nicht nur Wohnung und Schlafzimmer, sondern baden auch gemeinsam, in viel Schaum und durchaus kommunikativ. Das ist schon ungewöhnlich genug. Am stärksten nimmt aber für den Umstand ein, die beiden können nur ein Paar sein, keine Kumpels – dass sie ein Bett teilen und sich, am Ende des Tages, Geschichten erzählen.
Solche von Eiswürfeln und Heizdecken, Fischen, die Eiswürfel zum Schmelzen bringen, liebevoller Sinn bzw. märchenhafter Unsinn: Man erkennt die gute Ehestimmung auf Anhieb. Wer sich so liebevoll neckt und auf die Schippe nimmt, muss miteinander gut können, in guten wie in schlechten Zeiten. Ernie ist immer der Verspielte, der Bert mit seinen Erzählungen teils zum Wahnsinn treibt, andererseits aber auch – etwa mit seinem Quietscheentchen – Liebe signalisiert: Sie haben ein gemeinsames Leben mit Hobbys und Verwandtschaften draußen.
Es ist also, wie es jede Bild- und Wahrnehmungstheorie sagt: Man muss erkennen wollen, um zu sehen, was die Sache ist. Im Schlechten erkennen Rassisten in fremdländisch aussehenden Bürger*innen Menschen, die nicht zu Deutschland zählen können – und schreiben ihnen alle Übel der Welt zu. Im Guten, falls man das so sagen darf, ist es so, dass es heteronormative Gewöhnung, ja, Tradition war (und meist noch ist), in Ernie und Bert, mit die populärsten Puppen der Welt, nur Kumpels, nicht aber Eheleute zu sehen: Man erkennt die Liebe vor lauter Schwules-nicht-zur-Kenntnis-nehmen-wollen nicht.
Die Produzenten der „Sesamstraße“ verweigern sich nun der Interpretation Saltzmans, des Drehbuchschreibers so vieler Ernie-und-Bert-Geschichten. Eine „schwule“ Deutung des Paares sei nicht statthaft, denn es seien ja nur „Puppen“. Das ist nicht zu bezweifeln: Es sind nur Spielfiguren, aber sie sind wirkmächtig.
Das Argument, die „Sesamstraßen“-Ehejungs würden immer nur oberhalb des Gesäßes gezeigt, da könne also nichts von Sex handeln, missversteht die Geschichten selbst.
Bei Liebesgeschichten kommt es doch gerade nicht auf Sexuelles an, sondern auf die Intimität, die (auch häusliche ausgedrückte) Intimität zweier Menschen – in diesem Fall zweier Männer. Bei der Disney-Verfilmung „Bambi“ geht es ja auch nicht um Trickfilmisches in erster Linie, sondern um die metaphorische Erzählung von Verlust und Trauer – und niemand käme auf die Idee, Bambi nur für einen verfilmten Comic-Strip um ein inhaltliches Irgendwas zu halten.
Insofern ist das Outing Saltzmans seiner Figuren keine Enthüllung, vielmehr ein Fingerzeig: Seht her, ihr habt sie erlebt – und ich sage euch, was ihr vielleicht nur übersehen wolltet.
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