: Selmayr-Affäre hat noch ein Nachspiel
EU-Bürgerbeauftragte rügt Blitzbeförderung des Deutschen zum Kommissions-Generalsekretär: Es sei manipuliert worden
Aus BrüsselEric Bonse
Für die EU-Kommission war der Fall längst erledigt. Doch nun hat die umstrittene Nominierung des deutschen Juristen Martin Selmayr zum Generalsekretär der Brüsseler Behörde doch noch ein Nachspiel. Die Bürgerbeauftragte der EU, Emily O’Reilly, hat die Kommission scharf gerügt und ihr einen Missbrauch der EU-Regeln vorgeworfen.
Bei der Beförderung Selmayrs im Februar seien die internen Regeln „nicht korrekt“ angewendet und „manipuliert“ worden, so O’Reilly nach einer eingehenden Untersuchung. Zudem habe die Behörde „künstlich den Eindruck von Dringlichkeit“ erzeugt, „um rechtfertigen zu können, dass keine Stellenausschreibung veröffentlicht wurde“.
Die Bürgerbeauftragte, an die sich jeder mit Beschwerden über die EU-Institutionen wenden kann, fordert zwar nicht, das gesamte Verfahren neu aufzurollen. Dies hätte die EU-Kommission in eine tiefe Krise stürzen können – denn Behördenchef Jean-Claude Juncker hat wegen des Streits um Selmayr sogar mit seinem Rücktritt gedroht. Selmayr gilt als engster und mächtigster Vertrauter des Luxemburgers.
Ihre Stellungnahme birgt dennoch Sprengstoff, vor allem für den deutschen EU-Kommissar Günther Oettinger. Der CDU-Politiker, der auch für die Personalpolitik zuständig ist, hatte die umstrittene Nominierung nämlich gegenüber massiver Kritik aus dem Europaparlament verteidigt und behauptet, alles sei ordnungsgemäß gelaufen.
Dem widerspricht O’Reilly. Die für die Ernennung gewählte Prozedur entspreche „weder ihrem Wortlaut noch ihrem Sinn nach“ den EU-Regeln, stellt sie fest. Selmayr war in einer einzigen Sitzung gleich zweimal befördert worden. Sein Amtsvorgänger war kurz zuvor zurückgetreten – dabei hatte er seinen Abgang schon Monate zuvor angekündigt.
Von einem Coup und einem „putschartigen Verfahren“ war deshalb in Brüssel die Rede. Bis heute hält sich der Verdacht, dass Selmayr – Spitzname: „das Monster vom Berlaymont“ – seine Beförderung selbst geplant und mit Juncker bis ins Detail abgesprochen hat, um die übrigen EU-Kommissare zu überrumpeln und sich die Macht auch nach dem Abgang Junckers im Herbst 2019 zu sichern. Zuletzt hatte Selmayr einen Sondergipfel zur Flüchtlingspolitik extra für Kanzlerin Angela Merkel organisiert – ein in der EU-Geschichte bisher einmaliger Vorgang.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen