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Porträt eines kunstsinnigen Kollaborateurs

Der Gropius Bau in Berlin zeigt von den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamierte Werke aus dem spektakulären „Schwabinger Kunstfund“ von Hildebrand Gurlitt. Der Spagat zwischen Geschichts- und Kunstvermittlung gelingt

Von Johanna Schmeller

Schwarz unterlaufene Augen in einem flammend rot gepuderten Gesicht blinzeln leer unter einem Schlapphut hervor. Die schmutzig weiße Hutkrempe sitzt auf dem Pelzkragen auf. Die Lider hängen halb über dem gleichgültigen Blick, der Mund steht offen, kein bisschen lasziv, nur verbraucht, nur matt, nur müde. „Straßenbild“ heißt die Aquarellzeichnung, die der Dadaist George Grosz mit schnellem Strich auf Karton geworfen hat. Seine Bilder sind Porträts nur knapp diesseits des Todes.

So bereitet die Schau „Bestandsaufnahme Gurlitt – ein Kunsthändler im Nationalsozialismus“ in Berlin gleich ab den ersten Metern den emotionalen Boden für alles, was nachfolgend an Sachinformation aufgenommen werden soll. Die Ausstellung versucht einen nuancierten Blick auf einen historisch schwer belasteten Kunstbestand. Neben Claude Monet, Camille Pissarro, Georges Seurat und einigen Künstlern des „Blauen Reiters“ sind bis zum kommenden Frühjahr im Gropius Bau Arbeiten von Edgar Degas, Henri de Toulouse-Lautrec sowie kleinere Werke von Max Beckmann und Pablo Picasso zu sehen. Insgesamt werden rund 200 Werke teils noch ungeklärter Provenienz gezeigt, die der deutsche Kunsthistoriker Hildebrand Gurlitt (1895–1956) zusammengetragen hat.

Erstmals zeigten Museen in Bonn und Bern im vergangenen Herbst Werke aus dem sogenannten „Schwabinger Kunstfund“. 2010 war Gurlitts Sohn Cornelius Gurlitt ins Visier der Steuerfahndung geraten. 2012 wurde bei einer Durchsuchung das Erbe seines Vaters in seiner Münchner Wohnung beschlagnahmt.

Die Doppelausstellung war ein weiteres Kapitel im berühmtesten Kunstkrimi der Repu­blik. Die Bonner Bundeskunsthalle legte den Fokus akribisch und teils zu technisch auf die Provenienzforschung. In Bern waren Werke zu sehen, die die Nazis als „entartet“ qualifiziert hatten, weil sie ihrem biederen, menschenverachtenden Weltbild nicht entsprachen. In Berlin gelingt nun, was vor einem knappen Jahr offenbar noch zu schwierig schien: Der Skandal um den „Kunstschatz“, dessen Wert besonders die Boulevardpresse stark überzeichnete, wird elegant umschifft. In sieben Räumen zeigt die Ausstellung vielmehr Etappen, die Gurlitts Sammlung im Kern bestimmen: Sein Faible für die Avantgarde („Umkämpfte Moderne“), den Einfluss europäischer Wechselwirkungen („Streit um nordische Kunst“ und „Handelsplatz Paris“), seine Annäherung an Kunst als Ware („Lukrative Geschäfte“) und den enormen Einfluss der Nazi-Repressalien auf die deutsche und die internationale Kunstszene („Kunstpolitik im NS-Staat“, „Der NS-Kunstraub und der ‚Sonderauftrag Linz‘ “, „Neuanfang mit Altlasten“).

Die Ausstellung porträtiert Hildebrand Gurlitt als kunstsinnigen Kollaborateur: In den zwanziger Jahren war er in Dresden und Zwickau Museumsdirektor, bevor er 1933 Leiter des Hamburger Kunstvereins wurde. Nach seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten – Gurlitt war Enkel einer deutschen Jüdin – handelte er privat mit Kunst.

Ab 1937 – als erstmals im Münchner Haus der Kunst sogenannte „Entartete Kunst“ gezeigt wurde – war er es, der große Werkkonvolute von George Grosz und Otto Dix aufkaufte. Ab 1938 gehörte Gurlitt zu einer Gruppe von vier Kunsthändlern, die die Nationalsozialisten mit dem Verkauf von beschlagnahmten Werken rassisch oder politisch verfolgter Künstler betrauten. Er übernahm damals selbst fast 4.000 „entartete“ Werke. Rund 500 Werke aus dem Fundus von Gurlitt sollen heute noch dazugehören.

Ab den vierziger Jahren war Gurlitt an den Kunstmärkten in Frankreich, Belgien und in den Niederlanden aktiv. An den Massenenteignungen der Nationalsozialisten sei er nicht direkt beteiligt gewesen, bahnte aber durch gute Geschäftskontakte ins europäische Ausland im „Sonderauftrag“ Adolf Hitlers zwischen Mai 1941 und Oktober 1944 den Verkauf von rund 300 enteigneten Kunstwerken an.

Die Geschäftsbücher von einigen um ihr Eigentum betrogenen jüdischen Sammlern werden gezeigt

Als 1945 der Zweite Weltkrieg mit der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches endete, zog Gurlitt zunächst nach Bayern. Das Entnazifizierungsverfahren gegen ihn wurde 1948 ohne Verurteilung abgeschlossen, Gurlitt durch seine glänzende Vernetzung in der Kunstszene noch im selben Jahr zum Leiter des Düsseldorfer Kunstvereins.

Während in Bonn und Bern die historische Aufarbeitung im Vordergrund stand, überzeugt in Berlin die gelungene Gewichtung zwischen Erklären und Erkennen. Die Schau bietet eine glaubwürdige und vielschichtige Annäherung an die Persönlichkeit Gurlitts, ohne kritiklos zu sein: Die Geschäftsbücher von einigen um ihr Eigentum betrogenen jüdischen Sammlern werden neben ihren in Menschengröße auf die Wände aufgebrachten Porträts gezeigt.

Gerade für die Künstler der Neuen Sachlichkeit – mit denen die Schau einsteigt – waren der Erste Weltkrieg und die Novemberrevolution Momente, die aus Kreativen politische Intellektuelle machten. Ihre Bilder zeigen die grenzenlosen Schrecken, die sich mit Worten nur teilweise greifen ließen. Kunst wurde ihre Waffe – eine Waffe, die bis heute nicht an Schärfe verloren hat.

Bis 7. 1. 2018, Gropius Bau Berlin. Katalog, Hirmer Verlag, München, 2., überarbeitete Auflage, 348 Seiten, 29,90 Euro

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