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Wummer, Wachstum, Opposition

Budapest ist für viele Kreative des Landes eine „internationale Insel“. Teilnehmen an der Clubkultur wird zur Opposition, weil die Regierung sie nicht will. Notizen vom Electronic-Beats-Festival in Budapest, das am Wochenende stattfand

Von Natalie Mayroth

Im fünften Bezirk von Budapest funkeln die Lichter der Stadt in die tiefblaue Nacht hinein. In einem in Pink erstrahlten Design-Hotel, 500 Meter vom Donauufer und der Freiheitsbrücke entfernt und über den Dächern der 1,7-Millionen-Stadt wurde am vergangenen Donnerstag über die Zukunft der Musikszene Ungarns diskutiert. DJs, Promoter, Journalisten und Veranstalter aus der Stadt saßen am Tisch. Eine Zusammenkunft, die man sonst hier nicht kennt. Unter deutscher Schirmherrschaft hat sich das nun geändert: Eingeladen wurde von „Electronic Beats“, dem Musikmarketingableger der Deutschen Telekom.

Der Ausklang der Gesprächsrunde leitete zugleich das Electronic Beats City Festival ein, das zum dritten Mal in Budapest stattfand. Dazu gab es Auftritte der ungarischen KünstlerInnen S. Olbricht, Aiwa und Imre Kiss. Gegen zehn Uhr brachte der Schwede Baba Stiltz die Meute mit Missy Elliotts „Work it“ zum Tanzen. Musikalisch war es ein sanfter Einstieg, denn an den folgenden zwei Abenden wartete vor allem harter Techno auf die Besucherinnen.

Das Electronic-Beats-Festival fand bis 2016 in Köln statt. Aus Deutschland hat sich die Plattform inzwischen aber zurückgezogen. Der Fokus hat sich gen Osten verschoben, in Länder, in denen der Multi Wachstumspotenzial wittert. Bereits im Jahr 2006 fand die erste so gebrandete Veranstaltung statt. Nachdem 2015 das gedruckte Umsonstmusikmagazin „Electronic Beats“ eingestellt wurde, wird weiter mit Formaten experimentiert.

Heute arbeitet man mit lokalen Promotern und Künstlern in den Hauptstädten des ehemaligen Ostblocks zusammen. Das kommt in Ungarn gut an, denn Techno aus Deutschland wird respektiert. Nicht umsonst heißt der bekannteste Szene-Club „Lärm“, eine der aktivsten Crews Ungarns „Farbwechsel“, oder man entdeckt im kleinen Skateshop T-Shirts mit dem Aufdruck „Einfach Berlin“, Überbleibsel von Festival-Merchandise made in Hungary.

Gute Bookings gäbe es in der Stadt wöchentlich, sagt Aiwa. Einige Budapester DJs sind international vernetzt. Sie legen auch in London oder in Berlin auf. Aiwa war mit seinem Kollegen S. Olbricht zum Panel geladen. Die beiden sehen ihre Szene nicht inferiorer als die in anderen europäischen Hauptstädten.

Im Gegensatz zu Riesen­events wie „Sziget“ wurde bei Electronic Beats an die Budapester gedacht, die gerne Berliner Sounds hören. Dafür haben Jakob Thoene und Laszlo Papp Acts ausgewählt, die Hallen füllen, dafür aber an manchen Stellen weniger erwartbar hätten sein können. Zu den zwei Clubnächten in der Anlage am denkmalgeschützten Burggarten-Basar Várkert Bazár zog es vor allem Ungarn. Zu den Sets der renommierten britischen und deutschen DJs Âme, Dixon, Ben UFO und Floating Points, die durch Funktion-One-Boxen die Halle beschallten, tanzten am Freitag beim Tech-House-Line-up eher die Älteren.

Am Samstagabend wurde das Publikum dann jünger und die Musik monotoner. Angefangen beim harten Sound des Budapester DJs Isu, gefolgt vom Duo SHDW & Obscure Shape aus Stuttgart und einem langen Closing-Set des Berghain-Resident Ben Klock. Highlight des zweiten Tages war eine Schifffahrt auf der Donau mit Live-Sets von Matisse und Subotage sowie der Münchnerin Tini und der Spanierin Isabella, die voll positiver Energie war. Aus dem Robert Johnson in Offenbach kamen Tini und ihre queere Gang angereist. Ein Frauentrio, das mit seiner sexuellen Orientierung in Ungarn laut Umfragen weniger gerne gesehen ist.

„Die Underground-Szene hier ist bunt, sie könnte aber größer sein, wenn wir mehr zusammenarbeiten würden“, sagt Nora Matisse

Homophobie und Rassismus passen aber auch nicht zum schönen Schein der Touristenstadt. Die historischen Straßenzüge und prunkvollen Synagogen lenken leicht davon ab, was innenpolitisch in Ungarn passiert. Die Unzufriedenheit äußert sich darin, dass wenig darüber gesprochen wird. Und selbst „Clubkultur zur natürlichen Opposition wird, weil es nicht direkt etwas ist, was die Regierung will,“ sagt der 30-Jährige Aiwa vom Kollektiv „Farbwechsel“.

Für Außenstehende ist davon wenig zu spüren. Außer man läuft am Sonntagnachmittag aus Versehen in die Demonstration gegen Orbán. Politik ist hier nicht unbedingt ein Stammtischthema heißt es, geäußert wird sich bedacht. Am Mittwoch war vom Europaparlament ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn eingeleitet worden. Mit der Begründung, das Land würde die EU-Grundwerte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gefährden. Am Sonntagnachmittag gab es daraufhin einen Protest mit 2.000 Menschen in der Hauptstadt.

Viele wissen: Nicht nur das Nachtleben könnte freier sein. Genehmigungen zu bekommen sei nicht mehr so einfach, sagt Nora Matisse. Die Partyszene existiert, doch die Spannung im Land ist auch in der Hauptstadt spürbar. Budapest ist für viele Kreative des Landes eine „internationale Insel“. „Die Underground-Szene hier ist bunt, sie könnte aber größer sein, wenn wir mehr zusammenarbeiten würden“, sagt Matisse. Konkurrenz gibt es auch im beschaulichen Budapest, wo sich das alternative Nachtleben vor allem im siebten Bezirk, dem alten jüdischen Viertel um die Telep-Galerie oder das Központ-Café abspielt.

„Künstler und Agenturen sind in den letzten Jahren Corporate-Veranstaltungen gegenüber viel offener geworden“, sagt Ulrich Tanas, der seit 19 Jahren für Electronic Beats die Organisation für Musikevents im In- und Ausland leitet. Führer habe es öfters Absagen gegeben. Sponsoringmodelle in der Musik sind allgegenwärtig und nehmen immer prominentere Plätze ein. „Ohne Sponsoring geht es nicht mehr“, sagt der Berliner Journalist Ji-Hun Kim, früher Redakteur bei der Zeitschrift De:Bug. Für die lokalen elektronischen Tanzmusik-Szenen kann solche Anbindung ein positiver Effekt sein, solange sie sich dadurch nicht vollkommen kommerzialisieren. Doch wo hört die Anbindung auf, und wo fängt der Ausverkauf an?

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