KOMMENTAR VON JÜRGEN GOTTSCHLICH ZUR ESKALATION AN DER TÜRKISCH-SYRISCHEN GRENZE
: Erdogan erhöht den Einsatz

Nun geht es nicht mehr nur um Assad: Es geht um Iran, Russland, die USA und die Nato

Für die Türkei rückt der syrische Bürgerkrieg näher. Seit die türkische Armee erstmals aktiv eingegriffen und Vergeltung für einen wohl versehentlichen Beschuss von syrischer Seite geübt hat, geht in der Türkei Kriegsangst um. Die Mehrheit der Bevölkerung, das zeigen alle Umfragen, will in Syrien und damit in den ganzen unübersichtlichen Dschungel im Nahen Osten nicht mit hineingezogen werden. Das entspricht der jahrzehntelangen Politik der türkischen Republik, sich eher isolationistisch zu verhalten und sich darauf zu konzentrieren, das zu behalten, was man hat.

Diese außenpolitische Abstinenz hat sich spätestens mit dem Amtsantritt von Außenminister Ahmet Davutoglu geändert. Hat der heutige Präsident Abdullah Gül in seiner Zeit als Außenminister noch vor allem die Integration der Türkei in Richtung Europa betrieben, will Davutoglu eine neue, mächtigere Rolle für das Land in der Region. Das bezieht sich auf den Nahen Osten, aber auch auf den Balkan, insgesamt eben auf jenes Gebiet, welches das Osmanische Reich einmal beherrscht hat. Seine Gegner werfen ihm deshalb vor, eine neo-osmanische Politik zu betreiben, die das Ziel hat, erneut eine türkische Dominanz unter modernen Vorzeichen in der Region anzustreben. Davutoglus und Erdogans anfängliche Erfolge wurden durch den Arabischen Frühling bereits infrage gestellt und drohen durch den Bürgerkrieg in Syrien nun vollends zu scheitern. Erdogan und Davutoglu haben sich deshalb schon früh gegen Assad gestellt. Sie hofften, dass das Regime in Damaskus schnell gestürzt wird und sie bei der Nachfolge ein gewichtiges Wort mitreden können. Das hat bislang nicht geklappt. Nun muss Erdogan seine Ambitionen zurücknehmen – oder den Einsatz erhöhen.

Der Beschuss des syrischen Militärpostens und die Ermächtigung, die das Parlament für weitere Interventionen ausgestellt hat, zeigen: Erdogan ist bereit, sich auf ein hochriskantes Unternehmen einzulassen. Das türkische Militär wird häufiger den Befehl bekommen einzugreifen und vielleicht sogar eine Pufferzone und damit eine befreite Zone für die Rebellen in Syrien freizukämpfen.

Damit tut sich ein Abgrund auf, denn letztlich geht es dann nicht mehr nur um Assad, sondern auch um den Iran und Russland, die das Regime unterstützen. Für die USA und die Nato stellt sich dann allerdings irgendwann die Frage, ob und wie weit sie bei diesem Kriegsspiel mitgehen.