Leonie Gubela Mitarbeiter der Woche: Wladimir Putin
Sie haben keine Angst vor uns“, haucht Wladimir Putin, in seiner Stimme liegt Bewunderung. Der russische Präsident schaut von einer Gondel aus auf ein von seiner Anwesenheit sehr unbeeindrucktes Rudel Steinböcke. Zuvor durfte ihm das Fernsehpublikum dabei zusehen, wie er im sibirischen Gebirge an Pilzen schnüffelt, behutsam Beeren pflückt und sich auf einem Baumstumpf von der Sonne wärmen lässt.
Seit Jahren schon verbreitet die russische Regierung Urlaubsfotos des Präsidenten im Netz, jetzt werden Putins Abenteuer wöchentlich als Bewegtbilder im Fernsehen ausgestrahlt. Seit Anfang September ist er der Star seines eigenen Reality-TV-Formats „Moskau. Kreml. Putin.“ auf dem staatlichen Sender Rossiya 1.
Die erste Folge zeigt ihn im Kurzurlaub in Sibirien und entwickelt sich im weiteren zu einem Zusammenschnitt seiner Woche: Putin, wie er Babys den Kopf tätschelt, mit einem U-Boot fährt, wie er Jugendlichen Diplomatie erklärt, und die Trauerfeier eines verstorbenen russischen Sängers besucht. Moderator der Sendung ist Polit-Talker Wladimir Solowjow, der zwischen den Clips mit Studiogästen interagiert, konstant bemüht, seinen Vorgesetzten als furchtlosen Sportler und liebenswerten Philanthropen darzustellen. Auf die Frage eines Zuschauers, ob Putin im sibirischen Gebirge nicht um seine Sicherheit besorgt sei, antwortet Solowjow: „Glauben Sie, der Bär ist ein Idiot? Wenn er Putin sieht, wird er sich selbstverständlich benehmen!“ An anderer Stelle erwähnt er seine „menschliche, aufrichtige Einstellung“ gegenüber Kindern. Studiogast und Kremlsprecher Dmitri Peskow pflichtet ihm bei: „Putin liebt Menschen.“
Ob diese Lobhudeleien den russischen Präsidenten aus seinem Umfragetief reißen können? Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts FOM würden aktuell nur noch 47 Prozent der RussInnen für Putin stimmen. Vor wenigen Monaten waren es noch 69 Prozent. Die Beliebtheitswerte sind auf dem tiefsten Stand seit Jahren. Grund dafür ist unter anderem eine umstrittene Rentenreform. Der Präsident möchte das Renteneintrittsalter für Männer und Frauen um fünf Jahre anheben. Schon seit Wochen gehen Menschen dagegen auf die Straße, auch am Tag der Ausstrahlung protestierten Tausende in der Nähe des Roten Platzes. Die interessiert vermutlich wenig, wie der Präsident an seinen Wochenenden beim Beerenpflücken mal so richtig die Seele baumeln lässt.
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