Susanne Memarnia hat bei Twitter zu viel über Sawsan Chebli gelesen: Radikal, sexistisch, egal – empört euch woanders!
Was bei Twitter mal eben hingerotzt wird, verbreitet sich im Zweifelsfall verteufelt schnell – vor allem, wenn der Absender prominent ist. Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) kann ein Lied davon singen.
Vorige Woche erst bekam sie viel Schimpfe für ihren Tweet in Bezug auf rechte Gewalt: „Wir sind mehr (noch), aber zu still, zu bequem, zu gespalten, zu unorganisiert, zu zaghaft. Wir sind zu wenig radikal.“ Das sei ein Aufruf zu Gewalt, wurde ihr unterstellt. Die Empörung war so groß, dass sie sich genötigt sah, den Tweet zu löschen und sich zu erklären.
Jetzt kam ein österreichischer Politiker zu Fall, der sich auf Twitter abfällig über Chebli geäußert hat. Der Abgeordnete der konservativen ÖVP Efgani Dönmez hatte am Samstag auf die Frage eines Twitter-Nutzers, wie die Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement eigentlich zu ihrem Amt gekommen sei (wo sie, wie der User meint, so einen Mist zu Chemnitz schreibt), geschrieben: „Schau dir mal ihre Knie an, vielleicht findest du da eine Antwort.“
Nun ist es nicht abwegig, diesen Satz im Sinne von „Die hat sich doch hochgeschlafen“ zu interpretieren. Eine Menge Leute haben genau dies getan und sich entsprechend aufgeregt – bis hinauf zur Bundesjustizministerin Katharina Barley („widerlich und sexistisch“). Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, auch ÖVP, schloss Dönmez dann am Montag aus der Fraktion aus. Da half es nichts, dass er sich – ebenfalls per Twitter – bei Chebli noch am Sonntag entschuldigt hatte.
Wobei sich die Entschuldigung ziemlich halbgar las. Es sei „niemals meine Absicht“ gewesen, sie „wegen ihres Geschlechts oder politischen Parteizugehörigkeit zu diffamieren“, erklärte Dönmez. Dann schob er nach: „Frau Chebli unterstützt mit ihrer Art der Politik (SPD) seit Jahren direkt und indirekt reaktionäre Muslimverbände. Welches Frauenbild da vertreten wird, brauche ich nicht näher zu erläutern.“
Wie war das nun gemeint? Darf man Muslime sexistisch beleidigen, weil sie selbst vielleicht ein konservatives oder reaktionäres Frauenbild haben? Wie immer bei den Themen Sexismus und Islam kochte die Stimmung hoch, Kreti und Pleti zwitscherten für Dönmez, gegen ihn, für Chebli, gegen sie oder gegen beide – sind ja immerhin beide „Migrationshintergründler“.
Am Dienstag beklagte Dönmez noch online den Sexismusverdacht. „Ich habe mit meinem Tweet den offensichtlichen Kniefall einiger Politiker und Politikerinnen sowie Parteien in Europa vor reaktionären Migrantenorganisationen assoziieren wollen.“ Kann sein, dass das stimmt. Kann auch ein Einfall von Dönmez’ Spindoctor sein. Fest steht: Auf Twitter wird zu schnell und zu viel geplappert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen