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Kolumne MachtEs reicht!

Bettina Gaus
Kolumne
von Bettina Gaus

Auch eine liberale Gesellschaft definiert sich durch die Grenzen, die sie zieht. Wer Rassismus propagiert, mit dem kann man kein Gespräch führen.

Rechtsextreme zünden bei einer Demo in Chemnitz Bengalos Foto: Matthias Rietschel/Reuters

D onnerwetter. Kaum waren fünf Tage ins Land gegangen, schon fand jemand aus der Bundespolitik den Weg nach Chemnitz. Nicht der Bundespräsident, nicht die Kanzlerin, auch nicht der Innenminister, aber doch die Familienministerin. Wenn das keine donnernde Unterstützung für die Zivilgesellschaft ist.

Im Ernst: Diese Zivilgesellschaft hätte allen Grund sich von „der Politik“ im Stich gelassen zu fühlen. Dazu gehört übrigens auch in Sachsen die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, wie alle Umfragen zeigen. Ja, das ist eine Selbstverständlichkeit, aber offenbar müssen manche Selbstverständlichkeiten ausgesprochen werden, damit sie nicht in Vergessenheit geraten.

Zum Beispiel auch die, dass man den Anspruch auf Toleranz und Verständnis verwirkt, wenn man solidarisch und stumm neben Leuten steht und läuft, die gerade Straftaten begehen. Wie den Hitergruß zu zeigen oder Jagd auf Leute zu machen, die anders aussehen als man selber.

Es ist wahr, dass Veranstalter von Kundgebungen es schwer haben, sich einzelnen Gruppen gewalttätiger Krimineller in den Weg zu stellen. Etwas aber können sie tun, wenn eine Demonstration aus dem Ruder gelaufen ist: Sie können sich von den Straftätern distanzieren und deren Vorgehen verurteilen, unmissverständlich.

Ist mir da etwas durchgerutscht? Oder ist die Fülle der Distanzierungen von den bösen Systemmedien einfach ignoriert worden, und sie haben nur diejenigen zu Wort kommen lassen, die Verständnis für die Gewalttäter zeigten – oder überhaupt leugneten, dass sich etwas ereignet hatte, was die ganze Welt hatte sehen können? Ach, es ist nicht leicht, sich mit dem Thema ohne bitteren Hohn zu befassen.

Kampf um die kulturelle Hegemonie

Eine Gesprächspartnerin, deren Urteil ich schätze, sagte mir kürzlich, sie hielte Koalitionen zwischen der AfD und den Unionsparteien für richtig. Dann werde die AfD in die Verantwortung gezwungen und somit ganz schnell entzaubert. Das glaube ich nicht. Man kann ja bei Donald Trump beobachten, wie gut so etwas funktioniert.

Meine Zweifel an der Lernfähigkeit der Gesellschaft wachsen. Der Mechanismus ist stets derselbe: Extremisten behaupten, dass zwei und zwei fünf seien. Und sie finden Gesprächspartner, die sich mit ihnen sachlich auseinandersetzen, immer in der Hoffnung, dass die Öffentlichkeit sich von Tatsachen überzeugen lässt.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Diese Hoffnung trügt. So funktioniert das offensichtlich nicht. Die Washington Post hat dem US-Präsidenten mehr als 4.000 Falschaussagen nachgewiesen, und es ist seinen Anhängern schlicht egal. Sie jubeln ihm dennoch zu – und zwar zu Recht. Weil er, im Unterschied zu seinen Gegnerinnen und Gegnern, verstanden hat, dass der Kampf um die kulturelle Hegemonie kein zivilisierter Diskurs ist, in dem es um die besseren Argumente geht, sondern eben ein Kampf.

Es reicht. Auch eine liberale Gesellschaft definiert sich durch die Grenzen, die sie zieht. Wer unbestreitbare Tatsachen leugnet, wer Rassismus propagiert, wer die Bedrohung von Minderheiten rechtfertigt: der oder die hat sich als Partner oder Partnerin für ein ernsthaftes Gespräch disqualifiziert.

Wie schrieb die AfD im hessischen Hochtaunuskreis auf Facebook so zutreffend? „Wenn die Stimmung endgültig kippt, ist es zu spät.“ Sie hat in dem – inzwischen gelöschten – Post unverhohlen Journalistinnen und Journalisten mit Gewalt gedroht, die sich nicht vom System abwenden. Meiner Ansicht nach ist das ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Aber in einem hat die AfD Recht: Wenn die Stimmung endgültig kippt, ist es zu spät.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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5 Kommentare

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  • Ist der Link im Satz „Die Washington Post hat dem US-Präsidenten mehr als 4.000 Falschaussagen nachgewiesen, und es ist seinen Anhängern schlicht egal.“ auf taz.de/!5532080/ ein Versehen? Denn spannend wäre an dieser Stelle ja ein Verweis auf die entsprechende Datenbank der Washington Pots: www.washingtonpost...p-claims-database/

  • Die ganze Diskussion um Migration läuft in sofern aus dem Ruder, da diese Thematik mehr oder weniger als Alibi für die anderen Dinge herhalten muss, die in ganz Deutschland schief laufen!

    Frau Gaus schreibt hier mit einer gewissen Wut im Bauch, absolut nachvollziehbar, über das Mitlaufen vieler in Chemnitz bei den Demonstrationen der Rechten von Sonntag und Montag.



    Auch wenn bei den Demonstrationen der gewaltsame Tod des Opfers zum Anlass genommen wird, stellt sich doch klar heraus, dass diese Tat nur als Alibi für die Ausschreitungen von Rechten und Nazis herhalten muss, damit diese ihr Botschaft heraus brüllen können, durch die sie alles auf die Ausländer schieben können und auf Merkel, die ja ihrer Meinung nach die Grenzen rechtswidrig 2015 öffnete!

    Sicher ist, dass eben nicht nur diese Tat von den Nazis und der AFD instrumentalisiert wurde, sondern auch von denen, die als Mitläufer teilnahmen, sich aber kaum Gedanken um die anderen Teilnehmer machten, welche sich durch Hitlergruß und andere Straftaten hervor taten!

    Sie gingen auf die Straße, um ihren Frust über das von der Politik geschürte Gefühl des Alleingelassen Seins auszudrücken!

    Selbst im Westen fangen die Menschen immer häufiger an, die Politik zu hinterfragen in Hinsicht auf die Fokussierung der Regierung zu der Migration und der Vernachlässigung aller anderen Themen!

    Auch wird den Menschen im Osten wie im Westen immer bewusster, dass die Regierung kein echtes Interesse hat Probleme wirklich langfristig zu lösen.



    Die Chance langfristig das Problem der Rente zu lösen wäre durch den Vorstoß des Finanzministers Scholz die Rente bis 2040 festzuschreiben, wurde von der Kanzlerin und anderen Politikern abgeschmettert, da ein Teil der Finanzierung durch das Hauptklientel der CDU, die "Schönen und Reichen" durch Steuererhöhungen abgesichert werden müsste!

    Die Politik kann diesen durch die Neonazis, die Rechtsextremen und der AFD im besonderen, geschürten Ängste nur entgegen treten, wenn Taten folgen!!!

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Eric Cantona hat mal gesagt:

    "Mit Rassisten diskutieren, ist wie mit einer Taube Schach spielen. Egal wie gut Du bist, egal wie sehr Du dich anstrengst, am Ende wird die Taube aufs Spielfeld kacken, alles umschmeissen und umherstolzieren, als hätte sie gewonnen."

    • @88181 (Profil gelöscht):

      Danke für das Zitat - das trifft's voll, das merk ich mir.

    • @88181 (Profil gelöscht):

      Das Zitat ist großartig und ich stimme dem grundsätzlich zu. Dann lasst uns mal fleissig Kung-Fu üben... mal ehrlich, wie könnte dieser Kampf um die kulturelle Hegemonie denn aussehen?