: Ironie, so fein wie Falten
Ian McEwan hat das Drehbuch zur Verfilmung seines Romans „Kindeswohl“ geschrieben, Emma Thompson spielt eine Familienrichterin. Alles sehr gepflegt
Von Katrin Bettina Müller
Oh, dieses Klavierspiel. Es perlt schon über die Bilder des Vorspanns. Traurigkeit ist in ihm, aber auch Reichtum. Der Reichtum einer ausgedehnten Altbauwohnung mitten in der City von London. Eigentlich ist hier alles so teuer, dass gar niemand mehr eine Wohnung mieten kann und die alten Straßen einem Museum gleichen. Aber vielleicht besitzen einige ihre Wohnungen schon seit der Zeit, als die ersten Bücher gedruckt wurden.
In solch einem gediegenen Reich steht ein Flügel. Er gehört Fiona Maye, einer Familienrichterin. Ihr Mann Jack hat ihn ihr zum Geburtstag geschenkt. Wie sie sich gefreut hat! Der größtmögliche Liebesbeweis.
Das erfährt man in einer Rückblende im Film „Kindeswohl“. Das große Glück ist nur noch eine Erinnerung. Betrübt blickt Fiona jetzt auf die Tasten. Jack hat ihr eben eröffnet, eine Affäre haben zu wollen.
„Kindeswohl“, ein Film des Regisseurs Richard Eyre, beruht auf dem gleichnamigen Roman von Ian McEwan, der auch das Drehbuch schrieb. Ich bin ein Fan des Autors, seit ich vor langen Jahren „Ein Kind zur Zeit“ von ihm las. Ich bin ein Fan von „Kindeswohl“, half mir dieser Roman doch, ein paar Stunden einer Krise zu überbrücken, über fremden Liebeskummer statt über den eigenen zu weinen – und sich ein Vorbild zu nehmen an dieser Richterin. Sie setzt auf Souveränität statt Jammern, auf Professionalität statt auf Gefühle, auf den Verstand statt auf Erotik.
Ich bin ein Fan von Emma Thompson, die diese Richterin spielt. Das Trockene und Sachliche liegt ihr, und eine Ironie, die wir für sehr britisch halten, fein und dezent, wie die feinen und dezenten Falten um ihre Augen.
Aber dann ist diese Musik da, von Anfang an, und lässt die Rührung, die kommen wird, schon von weit her sehen. Lange bevor Fiona, die als Familienrichterin über Minderjährige zu entscheiden hat, am Krankenbett von Adam (Fionn Whitehead) steht. Der Junge stirbt, er hat Leukämie. Eine Bluttransfusion könnte sein Leben verlängern, er und seine Eltern lehnen das als Zeugen Jehovas jedoch ab.
Die Richterin diskutiert mit ihm über seinen Glauben und über sein Sterben. Die Totenblässe steht ihm gut, er schwärmt für Mylady (wie die Richterin angesprochen wird), kaum ist sie durch die Tür. Er spielt Gitarre, sie singt dazu. Wie soll man da nicht heulen.
Fiona Maye rettet sein Leben – für einige Zeit. Gegen den Willen der Familie erlaubt sie dem Krankenhaus die Transfusion. Für Adam drehen sich damit die Koordinaten seines Seins um. Der Glaube rutscht ihm weg, sein neuer Fixstern ist die Richterin. Turbulenzen folgen.
Wie der Film dieses Drama entwickelt, ist rührselig. Es fehlt jene Spur von Gemeinheit, die im Roman noch flackert. Es ist keine Gemeinheit der Figuren, es ist eine des Erzählers Ian McEwan. Der einen immer ganz nah rankommen lässt an die Figuren, großes Identifikationspotenzial aufbaut und dann durch einen kleinen Kniff in der Geschichte den Leser samt den Protagonisten aus der Bahn wirft.
So schön hatte er im Roman „Kindeswohl“ die Instrumente Klugheit, Verstand, kühles Urteilen, Souveränität aufseiten der Richterin ausgelegt, und dann hilft ihr das alles nichts gegen das Schicksal. Dass der Urteilskraft nicht zu trauen ist, dass sie nie alle Komponenten überblickt, mischt am Ende einen bitteren Geschmack in die Geschichte um die Richterin. Bringt ihr doch gar nichts, diese Vernunft, kichert ein kleiner, boshafter Geist in der Ecke.
Von dem ist im Film nichts geblieben. Das Dekorum besiegt den Zweifel. Da nützt auch einmal Nassregnen der frisch gelockten Haare von Fiona für die Weihnachtsfeier der Juristen nichts mehr.
„Kindeswohl“. Regie: Richard Eyre. Mit Emma Thompson, Stanley Tucci u. a. Großbritannien 2017, 105 Min.
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