: Vermeintlich milde Schärfe
Zwei Tote nach Einsatz von Pfefferspray
Es gilt bei der Polizei als vergleichsweise mildes Mittel: Pfefferspray löst schon bei gesunden Menschen heftige körperliche Reaktionen aus, es ist tausend Mal so scharf wie ein Jalapeño. Die Schärfe des Wirkstoffs Oleoresin capsicum gibt die Scoville-Skala an.
Die Skala wurde 1912 ursprünglich entwickelt, um die Schärfe von Paprika zu ermitteln. Je stärker die Reizung der Schleimhäute und der damit verbundene Schmerz, desto höher der Wert. Ein Jalapeño hat darauf die Stärke 5.000, ein Habanero-Chilli 350.000, handelsübliches Pfefferspray, das in Drogeriemärkten verkauft wird, liegt bei zwei Millionen Scoville und polizeiliches Pfefferspray bei 5,3 Millionen.
Dass das Reizgas bei Menschen, die unter Psychopharmaka oder Drogen stehen oder Asthmatiker*innen sind, tödlich sein kann, ist bekannt. In der vergangenen Woche traf es zwei Personen: Ein Mann starb nach einem Polizeieinsatz in Langenhagen bei Hannover, ein anderer in einer Psychiatrie in Hamburg-Harburg.
Im ersten Fall hat die Polizei Hannover mittlerweile interne Ermittlungen eingeleitet, um dem Verdacht entgegenzuwirken, die Behörde wolle etwas vertuschen. Die Staatsanwaltschaft sieht bislang keinen Verdacht für ein polizeiliches Fehlverhalten. Nicht einzugreifen sei ja auch keine Option, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Klinge. Der Betroffene hatte nach Polizeiangaben auf der Straße randaliert und mit Eisenstangen auf Autos eingeschlagen. Als die Polizist*innen ihn mit dem Reizgas zu Boden brachten, versagte sein Herz. Die Autopsie stellte später einen Herzfehler fest.
Auch bei dem Hamburger Fall hat mutmaßlich ein Herzversagen zum Tod geführt. Die Ergebnisse der Autopsie und toxikologischer Gutachten stehen noch aus. Der 57-jährige hatte sich in der psychiatrischen Einrichtung dagegen gewehrt, einem Richter vorgeführt zu werden, der über seinen weiteren Verbleib entscheiden sollte. Er hatte sich in einem Zimmer verbarrikadiert und Fußleisten abgerissen. Die Polizei überwältigte ihn mit Pfefferspray und die Klinikmitarbeiter*innen spritzten ihm ein Beruhigungsmittel. Daraufhin versagte sein Herz. Die Hamburger Polizei plant bisher keine Ermittlungen, man wolle erst das Ergebnis der Autopsie abwarten, sagte der Sprecher der Innenbehörde, Frank Reschreiter.
Kriminologen warnen schon seit Jahren vor dem Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei. Die Biowaffenkonvention von 1972 verbietet seinen Einsatz in internationalen Konflikten. Die Polizeigesetze aller deutschen Bundesländer erlauben ihn aber.
Katharina Schipkowski
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