: Lernen für die neue Gesellschaft
Wie das Bauhaus in Japan und Indien wirkte: Im Rahmen des Großprojekts Bauhaus Imaginista vergleicht eine Ausstellung in Kioto pädagogische Konzepte dreier Kunstschulen
Von Beate Scheder
Kirei, was für ein Wort! In der japanischen Sprache steht der Begriff sowohl für „schön“ als auch für „rein“. Reinheit und Schönheit gelten demnach als synonym – anschaulicher könnte man die pure Formsprache japanischer Gestaltung kaum zusammenfassen.
Im Tokioter Mori-Kunstmuseum, in dem momentan eine mehr als umfangreiche Ausstellung zu japanischer Architektur läuft, kann man darüber auf einer der Texttafeln lesen und den Zusammenhang auch gleich an Modellen und fotografischen Abbildungen überprüfen. Rein und schön sind die Bauten, die hier ausgestellt sind allesamt, die traditionellen wie die hochmodernen. Sie sind klar, harmonisch, formstreng, einfach. Dass die japanische Linie, die Bauhaus-Vordenker Henry van de Velde einst in einem Brief an Walter Gropius als heilsbringend bezeichnete, die Großen der modernen Architektur begeisterte – in den musealen Räumen des Mori-Museums mehr als 50 Stockwerke über der Stadt erscheint das geradezu zwingend logisch. Erst recht im Falle derjenigen, die mit dem Bauhaus assoziiert werden, offensichtlich, allzu offensichtlich sind die ästhetischen Gemeinsamkeiten.
Und auch außerhalb von Museen kann einem in Tokio das Bauhaus unverhofft begegnen. Der reduzierte Stil, so heißt es, gelte jungen Gestaltern noch immer als nachahmenswert, jedoch werde Bauhaus vielfach eher als Marke für Möbel und Ähnliches verstanden. Genau das treibt mitunter seine Blüten. Im Stadtteil Shibuya etwa kann man in einem Geschäft namens „Nomadic Life Market“, einer Art Manufactum für junge Großstädter, nicht nur formschön-funktionale Lederetuis und Kaffeebecher kaufen, sondern auch Zollstöcke und Pinsel mit dem roten Aufdruck der gleichnamigen Baumarktkette. Ob BAUHAUS oder Bauhaus, wenn es nur um das Label geht, scheint das womöglich gar nicht mehr so entscheidend.
So ergibt es auf vielfache Weise Sinn, dass das globale Forschungs- und Ausstellungsprojekt mit dem Titel „Bauhaus Imaginista“, das 2018, im Vorfeld des 100. Geburtstag der legendären Kunstschule deren weltweite Einflüsse in der einen wie der anderen Richtung untersucht, aktuell in Japan Station macht.
„Bauhaus Imaginista“ ist ein Mammutprojekt, das dem revolutionären Potenzial der Schule nachsinnt, kuratiert von Marion von Osten und Grant Watson, initiiert und organisiert vom Goethe-Institut sowie mit dem Haus der Kulturen der Welt (HKW) und der Bauhaus Kooperation Berlin Dessau Weimar. Im März startete die Grand Tour im marokkanischen Rabat, fortgesetzt wurde die Reise unter wechselnden Schwerpunkten im chinesischen Hangzhou und in New York. Nach Japan stehen Russland, Brasilien, Nigeria und Indien auf dem Programm.
Spannend und sperrig zugleich – im positivsten aller Sinne – ist das Konzept, weil die Kurator*innen um das allzu Offensichtliche, um das Coffeetable-Gefällige von Bauhaus einen Bogen machen. Daher ist es in Japan gerade nicht die charakteristische Ästhetik, die im Fokus steht, sondern vielmehr das pädagogische Konzept der Schule. In Kioto, im Museum für Moderne Kunst, wurde Anfang des Monats dazu eine Ausstellung eröffnet, „Corresponding with“ heißt sie. Sie stellt den Versuch dar, Parallelen zu finden zwischen Bauhaus und zweier auf gewisse Weise ähnlich angelegter Schulen, einer aus Indien, einer aus Japan.
Gleich zu Beginn steht man dort vor Walter Gropius’ Bauhaus-Manifest von 1919. Der Text, seine wohlbekannten, enthusiastischen Zeilen bilden die Folie, durch die man auf die Konzepte der beiden anderen Schulen blicken soll. Da ist zum einen die Tokioter Designschule des japanischen Architekten Renshichiro Kawakita, die zwischen 1931 und 1939 bestand, sowie Kala Bhavan, Santiniketan, gegründet von dem indischen Dichter, dem Literaturnobelpreisträger Rabindranath Tagore im Jahr 1919, im selben wie das Bauhaus.
Im ersten Moment mag die Auswahl überraschen, Kawakitas Designschule ist selbst in Japan kaum bekannt, Tagores Kala Bhavan erscheint vor allem ästhetisch weit weg. Tatsächlich ist im Fall der japanischen Schule, die wie das Bauhaus nur wenige Jahre bestand, der Bezug zum Bauhaus direkter. Ihrer Gründung gingen Ausstellungen voraus, die der bekennende Bauhaus-Bewunderer Kawakita gemeinsam mit ehemaligen Bauhaus-Schülern und mit der Schule verbundenen Architekten und Designern organisierte.
Kawakitas Curriculum orientierte sich am Bauhaus-Vorkurs. Seine Publikationen, die als Unterrichtsmaterial dienten, basieren auf den Ideen und Prinzipien des Bauhauses, was in der Ausstellung vor allem an Kawakitas herrlicher Magazinreihe „Architektur und Design, I See All“ erfahrbar wird. Eine Installation des Künstlers Luca Frei knüpft an das Archivmaterial an. Frei hat sich der wenigen Zeugnisse und Fotografien von Kawakitas Bauhaus-Ausstellung von 1931 angenommen, Objekte herausgegriffen, nachgebildet und neu zusammengeführt und wie die Zeiger einer Uhr mitten zwischen den Exponaten platziert.
Im Raum, der Kala Bhavan gewidmet ist, findet man sich danach zunächst einigermaßen verwirrt vor bunter Töpferware und Batiken wieder. Erhellender wird die Suche nach Zusammenhängen, sobald man sich in den Schriften Tagores vertieft, in denen dieser seine spirituell-utopischen Vorstellungen einer neuartigen Form der Kunstausbildung ausbreitet und auch sein Interesse am Bauhaus.
Und dann sind da noch jene entzückenden Postkarten, gestaltet vom Künstler und Lehrer Nandalal Bose, mit denen Schüler in Kala Bhavan das Zeichnen lernten, und nicht zuletzt die kommissionierte künstlerische Position, eine Videoarbeit der The Otholith Group. Sie fügt eine aktuelle Perspektive auf die Schule hinzu, „O Horizon“ spürt dem Mythos und Alltag an der heutigen Universität von Santiniketan in imposanten elegischen Bildern nach.
Wenn man sich darauf einlässt, erschließt sich so nach und nach, was die drei Schulen verbindet: einerseits, ganz praktisch, der „Vorkurs“, der auf die eine oder andere Art und Weise in jeder der drei Schulen abgehalten wurde; andererseits der Aufbruch in die Moderne, den die drei verkörpern, der Bruch mit der Vergangenheit, die Idee, mittels Bildung eine neue Gesellschaft anzustreben – bei gleichzeitiger Rückbesinnung auf halbvergessene Traditionen.
Alle Ergebnisse der Forschungsreise von „Bauhaus Imaginista“, auch die aus Japan, werden im kommenden Jahr zusammenfließen. Im Berliner HKW soll eine Ausstellung sie vereinen, deren Titel „Still undead“ fast wie eine Drohung klingt. Wie darin der Rundumschlag gelingen wird, muss sich noch herausstellen. Bestenfalls ergeben die Puzzleteile, die auf der Reise rund um die Welt eingesammelt werden, kein allzu stimmiges Bild. Neue Perspektiven auf das Bauhaus zu finden – das kann schließlich nur gelingen, wenn es zu Reibungen kommt. Von Osten und Watson wollen es einem offenbar ohnehin nicht zu einfach machen: Mehr Hintergründe, eine bessere Vermittlung hätte man sich in Japan an vielen Stellen gewünscht. Daran änderte auch das begleitende Symposium im Goethe-Institut in Tokio – einen Tag nach der Eröffnung in Kioto – nur bedingt etwas.
Die Bauhaus-Imaginista-Karawane ist indes wieder auf dem Sprung. Nächste Station ist am 11. September Moskau. Dort wird es um die Auswirkungen der designtheoretischen Debatten des Bauhauses auf politische und kulturelle Kontexte gehen.
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