Scheuklappenfreies Programm
Die Agentur „Digital in Berlin“ bietet seit zehn Jahren verlässliche Orientierung im Veranstaltungsdschungel der Stadt. Und feiert dies mit einem zweitägigen, musikalisch ausgesprochen diversen Festival im Kiezsalon, der seinen fünften Geburtstag feiert
Von Stephanie Grimm
Digital in Berlin: Obwohl das, in einen musikalischen Kontext gesetzt, nach Techno oder Ähnlichem klingt – darauf zielt der Name der Kulturagentur plus Internetseite nicht ab. Auch spuckt bei Digital in Berlin kein Algorithmus Empfehlungen aus. Die Hinweise auf Künstler und Konzerte quer durch alle Genres, von Hochkultur bis Underground, sind handverlesen.
Der etwas irreführende Name der Seite beschreibt lediglich die digitale Verbreitungsform der Infos, mit denen die Agentur verlässliche Orientierung im Veranstaltungsdschungel bietet. Auch wenn sich über die Jahre Medienpartnerschaften und Kooperationen entwickelt haben, betont Michael Rosen, Initiator von Digital in Berlin: „Unabhängigkeit ist wichtig – finanziell und contentmäßig.“
Entstanden ist die Agentur vor zehn Jahren, „aus einer Notwendigkeit heraus, weil Vergleichbares damals nicht existierte. Es gab lediglich eine paar Magazine wie etwa die De:Bug, aber keine Plattform, die das ganze Spektrum abbildete, über Genregrenzen hinweg.“
Das wird nun gefeiert mit einem zweitägigen, musikalisch ausgesprochen diversen Festival, bei dem Ambient Jazz (des polnischen Trios Lotto), auf dicht gekloppten, frenetischen Rock aus Berlin (der Band Auf) trifft, experimentelle Elektronik (von Rian Treanor, der UK-Club-Sounds zerhackstückelt und neu zusammenfügt) auf Neo-Klassik (der Cellistin Clarice Jensen), an zwei Abenden, bei je fünf Konzerten, die jeweils eine halbe Stunde dauern.
Stattfinden wird das in den Räumen der 120 Jahre alten Musikbrauerei, einem der letzten unsanierten Gebäude in Prenzlauer Berg. An gleicher Stelle gibt es seit fünf Jahren regelmäßig den Kiezsalon, ein verwandtes Projekt des Enthusiasten Rosen – also ein weiteres Jubiläum.
Auch diese Konzertreihe illustriert, dass der Enddreißiger ein weites Herz für Musik hat. Allein in diesem Sommer konnte man im Kiezsalon etwa schon Schamanenklänge der sibirischen Gruppe Namgar erleben und am selben Abend etwas ganz anderes, nämlich das glockenhelle Crooning des Kanadiers Eric Chenaux zu seinem leicht verspulten Gitarrenspiel. Nur einen Monat zuvor gab sich mit der Space Lady eine Legende der Outsider Art die Ehre, neben dem japanischen Ambient-Hypnotiker Sugai Ken, der sein neues Album vorstellte. Ein derart scheuklappenfreies Booking ist in der hiesigen Musiklandschaft selten.
Die Kommunikation zwischen den Gästen ist Rosen nicht minder wichtig. Ihm geht es auch darum, dem Publikum Raum zu geben, und den eher mit Literatur oder der politisch-philosophischen Debatte verbundenen Salongedanken in einen Musikzusammenhang zu stellen.
Im Gespräch zeigt er reichlich Sendungsbewusstsein, nicht nur in künstlerischer Hinsicht, sondern auch, was die soziale Dimension seiner Arbeit angeht. „Veranstalter, gerade solche, die wie wir öffentliche Gelder kriegen (der Kiezsalon wird von Musicboard Berlin und den Musicfonds gefördert) haben eine Verantwortung. Da reicht es nicht, dass wir uns hier als Bildungsbürger feiern – und außerhalb der Blase oder draußen auf dem Land wählen sie AfD“, erklärt Rosen, der mittlerweile teilweise in Brandenburg lebt und nun auch dort Veranstaltungen anstoßen will.
Und fügt hinzu: „Ich frage mich manchmal schon, warum Dinge so kuratiert werden, wie sie kuratiert werden. Da gibt es in Berlin drei Konzerte an einem Abend, die alle in eine ähnliche Richtung gehen und 60 Minuten dauern. Und danach geht man nach Hause oder in eine Bar. Warum gibt niemand Leuten Zeit und Raum zusammenzukommen? Warum wird immer nur eine informierte Elite angesprochen und nicht verschiedene Zielgruppen?“
Und so versucht er, doch einiges anders zu machen. Von Anfang an gab es im Kiezsalon eine Quote, nicht nur das Verhältnis zwischen Künstler und Künstlerinnen betreffend – worum er sich, das betont Rosen, nie bemühen müsste. Die Ausgewogenheit habe sich von selbst ergeben, „weil es unglaublich viele interessante Künstlerinnen gibt.“
Es gibt bei Rosen jedoch auch eine Quote, was den Neuigkeitswert angeht. „Ich achte darauf, dass die Hälfte der Künstler im Kiezsalon noch nie in Berlin gespielt hat.“ Und er bemängelt – mit einigem Recht –, dass selbst dem Experimentellen zugeneigte Veranstalter das mit einer solchen Booking-Praxis einhergehende Risiko oft scheuen.
Als Beispiel führt er an, dass die zugegebenermaßen wirklich tolle Ambient-Jazz-Band The Necks zweimal im Jahr auftritt, die eingangs erwähnten Lotto, ein ebenfalls der Improvisation zugeneigtes, etwas rougher klingendes Trio noch nie in Berlin gespielt hat – „obwohl die genauso toll sind“.
Beim Festival werden sie nun auftreten, ebenso wie Laura Cannell, eine experimentelle Komponistin, die in einschlägigen Magazinen wie The WireoderThe Quietusgefeiert wird, die fürs BBC-Orchester komponiert und sogar einer Blockflöte hörenswerte Experimente entlocken kann. „Eine der interessanten Musikerin unserer Zeit mit Ansätzen zur alten Musik“, so Rosen über Cannell. Auch sie spielt am kommenden Wochenende erstmals in Berlin.
Aber eigentlich, das zeigte die Erfahrung aus so manch einem Kiezsalon, ist es nicht nötig, allzu viel über die auftretenden Künstler wissen. Lieber kauft man die Katze im Sack und lässt erwartungsfrei die Synergieeffekte wirken, dazu ist so ein Salon ja schließlich da. Bei sehr fairen 15 Euro Eintritt pro Abend kann man nicht viel falsch machen.