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: Stahlbad des Funs

„Leichen unter brennender Sonne“ (Frankreich, Belgien 2017; Regie: Hélène Cattet, Bruno Forzani). Die DVD ist ab rund 13 Euro im Handel erhältlich.

Hélène Cattet und Bruno Forzani sind ein französisches, allerdings in Brüssel lebendes Regiepaar mit einem Faible für den Giallo, also die billig produzierten, eher trashigen italienischen Krimis der siebziger Jahre. Sie sind nicht die Einzigen, die heute in diesen einst zwar erfolgreichen, aber von der Kritik wenig beachteten oder belächelten Filmen Großes erkennen. Auch Dominik Graf ist ein Fan, der Einfluss auf sein Werk der letzten rund zwanzig Jahre ist nicht zu übersehen.

Es sind nicht die Plots, die an diesen Filmen mitreißen, anhaltende Spannungsbögen gibt es auch eher nicht. Was fasziniert, ist vielmehr, dass den interessanteren ihrer Regisseure die hergebrachten Regeln der Kunst ziemlich egal sind. Die Filme treiben stilistische Blüten, es herrscht ein Manierismus, bei dem in Bild und Sound alle Mittel erlaubt sind, undiszipliniert, eklektisch, oft eingesetzt ohne Sinn und Verstand, aber mit Gusto und Lust an der Übertreibung, der Willkür, dem Grellen und Lauten, an nackten Körpern, Blut und Gewalt, mit Orgien von Sex und Zooms und Reißschwenks, Unterstreichungen und Verfremdungen aller Art: eine Überdosis der Form.

Cattet und Forzani haben daraus als Nachgeborene einen sehr eigenen Stil der Nachahmung destilliert, doppelt und dreifach anachronistisch, da ihre Methode der lustvollen Imitation eigentlich eher zur Postmoderne gepasst hätte, als sie in die Gegenwart passt. Mit ihrem Erstling „Amer“ von 2009 haben sie einiges Aufsehen erregt, nach ihrem Zweitling „L’étrange couleur des larmes de ton corps“ stellte man fest: Das bleibt so. Ihr dritter Film, „Leichen unter brennender Sonne“, bleibt im selben stilistischen Rahmen, ist aber erstmals die Verfilmung nicht eines eigenen Drehbuchs, sondern eines bereits existierenden Werks.

Die Wahl der Vorlage ist sehr interessant. „Lasst die Kadaver bräunen“ von Jean-Patrick Manchette und Jean-Pierre Bastid ist eine Inkunabel des französischen Neo-Polar, der Erstling des mit seinen weiteren Krimis zu Ruhm und Ehre gelangten Manchette. Der Polar à la Manchette und der Giallo sind sicher geistesverwandt: Rücksichtslos schrieb Manchette die Konventionen des Genres mit Lust an Witz und Gewalt kurz und klein, entschieden gesellschaftskritisch dabei, davon ist bei Cattet und Forzani kaum noch was übrig.

An den Krimi-Plot und die Beschränkung auf einen einzigen Tag aber halten sie sich, ständig wird das Geschehen durch Einblendung der Uhrzeit, rot auf schwarzem Grund, unterbrochen. Ausgangspunkt ist ein höchst brutaler Überfall auf einen Goldtransport, dann Rückzug an einen abgelegenen Ort, hier kein französisches Dorf, sondern ein Ruinenareal auf einem Hügel am Meer, Drehort Korsika.

Dort lebt oder haust Luce (Elina Löwensohn), eine abgefuckte Lady, außerdem ein ständig besoffener Schriftsteller namens Max, weiteres Personal kommt dazu, ein Polizist und eine Polizistin nicht zuletzt, alle wollen ans Gold beziehungsweise die Täter erwischen, in jedem Fall aber einander an den Kragen, der ganze Film ist im wesentlichen Versteckspiel und Shootout zu Ennio-Morricone-Musik in den außerordentlich malerisch gelegenen Ruinen.

Das alles aber höchst manieristisch gefilmt, in verfremdeten Bildern, mit irren Schnitt-Sequenzen, ein Experimentalfilm aus Sex-and-Crime-Trash-Material. Betont wird dabei das einzelne Bild, der einzelne Schock, jede Einstellung fetischisiert Körper, Gewalt, am meisten freilich: die Form ihrer selbst. Im Ergebnis: Stil als Substanz, ein Stahlbad des Funs. Am Ende läuft es sich tot, was nicht heißt, dass der Weg dahin sich nicht lohnt. Ekkehard Knörer