: „Dahinter steckt viel Verunsicherung“
Der 24-Stunden-Notruf „Mirjam“ richtet sich an Schwangere und Mütter. Dabei ist das Hilfesystem in Bremen gut, sagt Diakonie-Sprecherin Regina Bukowski
Interview Simone Schnase
taz: Frau Bukowski, der Notruf „Mirjam“ sucht Ehrenamtliche – ist die Zahl der Hilferufe angestiegen?
Regina Bukowski: Unser Projekt gibt es jetzt seit zwei Jahren und je mehr Werbung wir machen, umso mehr werden auch die Anrufe. Das muss aber nichts damit zu tun haben, dass der Bedarf steigt, sondern kann damit zusammenhängen, dass wir im Laufe der Zeit bekannter werden. Deshalb machen wir weiter Werbung für unser Krisentelefon.
Wie viele Mitarbeiterinnen hat das Projekt und wie viele bräuchte es?
Aktuell arbeiten in Bremen 14 und in Emden fünf Ehrenamtliche. Ein Monat hat aber im Schnitt 30 Tage – das bedeutet, dass einige mehr als einen Dienst pro Monat machen müssen und das ist schon recht viel, da es sich um 24-Stunden-Dienste handelt. Deswegen wäre es schön, das auf möglichst viele Mitarbeiterinnen zu verteilen.
Wie viele Hilfesuchende haben sich bisher bei Ihnen gemeldet?
280 waren es bisher – der größte Teil kam aus Bremen.
In welchen Problemlagen rufen die Frauen an?
Ungefähr die Hälfte der Anrufe thematisiert eine Überforderung mit dem Baby oder Kleinkind und belastende familiäre Lebenssituationen. Überforderung bedeutet zum Beispiel: Das Kind schreit und hört gar nicht mehr auf und die Mutter weiß nicht, was sie machen soll. Hier lag auch die Idee zur Gründung des Notrufs: Den Frauen, egal um welche Uhrzeit, in Krisensituationen zur Seite zu stehen.
Wie machen Sie das?
Natürlich erst einmal, indem wir überhaupt da sind und ihnen sagen können: Alles gut, hier ist ja jemand. Die Frauen sollen in dem Moment, wo es ihnen schlecht geht, eine Entlastung erfahren. Dann verweisen wir sie an Stellen, wo sie am nächsten Morgen hingehen können.
In welchen belastenden familiären Situationen werden Sie angerufen?
Das können Partnerschaftsprobleme sein, Angst vor einem gewalttätigen Kindsvater oder ähnliches, aber auch junge Mädchen rufen an, die schwanger sind und Angst haben, ihren Eltern davon zu erzählen. Oft werden wir auch zu medizinischen Themen angerufen, zum Beispiel weil eine Mutter, dessen Kind seit Stunden Durchfall hat, nicht weiß, ob sie jetzt den kinderärztlichen Notdienst rufen soll oder nicht.
Wie erklären Sie sich, dass Sie in solchen Fällen angerufen werden und nicht der Notarzt?
Manche Frauen haben Angst, dass sie sich übertriebene Sorgen machen und trauen sich nicht, nachts den Arzt zu rufen. Dahinter steckt viel Verunsicherung. Wer bei uns anruft, braucht seinen Namen nicht zu nennen, alles wird vertraulich behandelt, die Telefonate finden von beiden Seiten anonym statt – das ist für die Frauen enorm erleichternd.
Füllen Sie mit dem Notruf Versorgungslücken?
Im ländlichen Bereich vielleicht schon, in Bremen aber ganz klar nicht. Hier gibt es ein breites und gut ausgebautes Netz an Beratungsstellen und Hilfsangeboten. Mit vielen Stellen sind wir auch sehr gut vernetzt. Aber viele davon sind nicht rund um die Uhr verfügbar. Bei uns können die Frauen auch nachts um drei Uhr anrufen. Hinzu kommt, dass einige angesichts der Vielfalt der Hilfsangebote die Orientierung verlieren und nicht wissen, was für sie passend ist. Wir helfen ihnen dabei.
Wie machen Sie auf „Notruf Mirjam“ aufmerksam?
Wir legen unter anderem Flyer dort aus, wo schwangere Frauen oder Mütter sind, also bei Gynäkologen oder bei Kinderärzten, in Quartierszentren oder auch der Agentur für Arbeit. Dem Willkommenspaket zur Geburt, das die Stadt Bremen verschickt, liegt ebenfalls unser Flyer bei. Seit diesem Jahr hängen auch zwei Plakate von Mirjam im Bahnhof, damit man uns auch im Vorbeigehen wahrnimmt.
Für wen kommt ein Ehrenamt bei „Notruf Mirjam“ in Frage?
Für alle Frauen ab 25 mit der Bereitschaft und vor allem der Möglichkeit, im Rahmen von 24-Stunden-Diensten auf dem Handy erreichbar zu sein. Wir schulen im Vorfeld die Ehrenamtlichen und führen regelmäßige Teamsitzungen durch.
Schirmherrin ist die Sozialsenatorin. Werden Sie von ihr auch finanziell unterstützt?
Nein. Wir müssen den größten Teil unseres Geldes durch Spenden aufbringen. Eine Spendenaktion findet zum Beispiel am Freitag statt: Im DM-Markt in Gröpelingen sitze ich von 16 bis 17 Uhr für den guten Zweck an der Kasse. Die Erlöse gehen an den Notruf Mirjam.
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