crime scene: Ein sehr heldenhafter US-Präsident
Jetzt hat also auch der Genreroman sein „House of Cards“: den Thriller, der als Zusammenarbeit von Ex-US-Präsident Bill Clinton, Bestsellerautor James Patterson und dessen Schreibwerkstatt entstanden ist. „The President Is Missing“ ist kein schlechter Thriller, aber es gibt bessere. Bewährt flott geschrieben, ist vor allem die erste Hälfte ziemlich spannend, inklusive diverser Geheimaktionen des Präsidenten – der sich unerkannt allein aus dem Weißen Haus schleicht –, einer spektakulären Verfolgungsjagd und einer großen allgemeinen Unsicherheit bezüglich der Absichten der meisten handelnden Personen. Sobald aber klar ist, worum es geht – um den größten denkbaren Cyberangriff auf die Computernetze der USA –, macht die Lektüre zunehmend müde, denn es ist nun einmal nicht sehr aufregend, IT-Experten dabei zuzusehen, wie sie versuchen, ein Computervirus unschädlich zu machen. Da nützt es auch nicht viel, dass gleichzeitig eine gedungene Top-Killerin mit blutigen Absichten die geheime Kommandozentrale des Präsidenten umkreist.
Das Interessanteste an diesem Thriller, nach dem, wäre nicht der superprominente Co-Autor, in den Feuilletons kein Hahn krähen würde, sind seine impliziten Beziehungen zum real life im Hintergrund. Zum einen lässt es natürlich tief blicken, wie die Figur des Präsidenten im Roman angelegt ist. Jonathan Duncan, so heißt er, ist ein verdienter Kriegsveteran mit großen Führungsqualitäten, der unter Einsatz von Leib und Leben – denn tatsächlich ist er auch noch schwer krank – alles riskiert, um sein Land zu retten: ein wahrer amerikanischer Held, wie er im Buche steht. Es sei Bill Clinton gegönnt, dass er sich hier gestattet hat, ein ungebrochenes Heldenbild eines Präsidenten zusammenzuphantasieren, wie er selbst es sicher gern abgegeben hätte. Man könnte das fast anrührend finden – wenn der Präsident a.D. sich nicht noch hätte hinreißen lassen, zum Abschluss des Romans eine Art Grundsatzrede an die Nation zu verfassen, ein viel zu langes, hochnotlangweiliges und darum im Thrillerkontext ziemlich peinliches Dokument seiner Sehnsucht nach echtem politischem Einfluss.
Klar sind hier generell die politischen Implikationen von Interesse. Was das betrifft, haben Clinton/Patterson sich nicht die Mühe gemacht, fiktive Freund-Feind-Szenarien zu ersinnen, sondern spiegeln bestehende in nur leichter Verzerrung. Der gefährlichste aller Top-(Cyber-)Terroristen ist diffus türkischer Herkunft (mit Wohnsitz in Berlin), aber, wie explizit erklärt wird, kein Islamist. Was ihn statt dessen motiviert, bleibt eher unklar – wenn es nicht vor allem das große Geld ist. Arabisches Geld spielt eine Rolle, und im Hintergrund: russische Interessen! Es ist eine nicht unbekannte Gemengelage real wabernder Konfliktmuster, die hier so ein bisschen breiig und unter Vermeidung völlig klarer Schuldzuweisungen aufgekocht wird.
Fürstlich bezahlte Berufskillerin
Durchaus positiv fällt übrigens die betont ausgewogene Geschlechterparität beim Romanpersonal auf. Vizepräsidentin der USA, FBI-Chefin oder fürstlich bezahlte Berufskillerin gehören zu den Rollenmodellen, die der weiblichen Leserschaft angeboten werden. Den Bechdel-Test (wonach in einem korrekt gegenderten Film mindestens zwei Frauen sich miteinander über etwas anderes als einen Mann unterhalten sollten) würde der Roman zwar nicht bestehen, weil die einzige Person, die hier Gespräche mit anderen führt, der Präsident ist, auf den alles zugeschnitten wurde. Und der ist schließlich ein Mann. Aber davon abgesehen entspricht die Genderrollenverteilung im Roman getreulich den Zielen der Clinton Foundation. Das ist jene Stiftung, die vom realen Ex-Präsidenten nach seiner Amtszeit gegründet wurde und die sich weltweit für die Chancengleichheit von Mädchen und Frauen einsetzt.
Vielleicht hat der neugebackene Thrillerautor ja nach Beendigung der Marketingkampagne für das Buch wieder mehr Zeit, sich seinen gemeinnützigen Interessen zu widmen. Immerhin: Was die Karrierechancen von Frauen betrifft, ist dieser ansonsten ziemlich durchschnittliche Genreroman der Wirklichkeit ein gutes Stück voraus. Katharina Granzin
Bill Clinton/James Patterson: „The President Is Missing“. Aus dem Englischen von Anke Kreutzer und Eberhard Kreutzer. Droemer, München 2018, 480 Seiten, 22,99 Euro
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