Radek Krolczyk Kunst am Wegesrand: Kein Gürteltier und auch kein Gott
Der Bildhauer Gerhard Marcks hat in Bremen eine solche Präsenz, dass man meinen könnte, er hätte mindestens für eine Weile hier gewohnt. Tatsächlich hat er Bremen nur regelmäßig besucht. Das lag an den guten Kontakten zur Kunsthalle, aber auch an der hiesigen Affinität zu Skulpturen im öffentlichen Raum. So stehen recht viele seiner Figuren in der Stadt herum, die „Stadtmusikanten“ am Dom ist nur die bekannteste von ihnen. 1953 realisierte er die kleine Bronze im Auftrag der Stadt. Seine Tierpyramide hält Maß. Sie ist somit eine logische ästhetische Umsetzung des politischen Anspruchs der frühen Bundesrepublik – bereinigt und klar in der Form, kindlich unschuldig. Eine schöne Figur, die unbedingt zum fetten, zahmen Bonner Bundesadler gehört. Mit der Repräsentation des Staates und seiner Organe war man nach dem Ende des Nationalsozialismus vorsichtig.
Etwas komplexer funktioniert die Figur des „Verwundeten Achill“ aus dem Jahr 1969, die sich zusammen mit anderen Werken von Marcks im Skulpturengarten hinter der Bürgerschaft befindet. Es handelt sich bei den Werken um allegorische Verhandlungen ewiger menschlicher Konflikte, Verhandlungen von Liebe, Schmerz und Tod. Im Skulpturengarten werden die möglichen Positionen des menschlichen Körpers durchgespielt, die Figuren stehen, gehen, fallen. Der „Verwundete Achill“ kniet in der hinteren Ecke des eingezäunten Gartens. Wie so oft, nutzt Marcks Gestalten der griechischen Antike, um eine grundsätzlichere Aussage zu treffen. Um den tatsächlichen mythischen Achill geht es ihm nicht, obwohl sein Interesse am griechischen Altertum groß war. So verzichtete er darauf, den beinahe unverwundbaren Krieger mit dem üblichen Streithelm und einem Speer zu versehen. Marcks’Achill ist nackt, einzig die Hand an der Ferse, an der der griechische Held im Krieg um Troja tödlich verletzt wurde, gibt einen Hinweis. Nun hat die Figur des hockenden Achill keine eindeutige Vorder- oder Rückseite. Steht man ihr gegenüber, ist ihrem Oberkörper zugewandt, kann man trotzdem nicht in ihr Gesicht blicken. Man muss sich auf die Figur zu bewegen. Mit ihrem Oberkörper, den Beinen und Armen umspannt sie einen Raum, eine geschlossene Kugel, eine Art Verteidigung. Doch natürlich bleibt die Form durchlässig. Ein Mensch ist schließlich ja ein Mensch und kein Gürteltier, vor allem aber auch kein Gott.
Dieser Konflikt zwischen Schutz und Verwundbarkeit, zwischen offener und geschlossener Form ist es, auf den es Marcks hier anzukommen scheint. Man kann das nun auf nachkriegspolitische Themen beziehen, auf das sich unbesiegbar wähnende Heimatland des Künstlers, das dann glücklicherweise schließlich doch geschlagen wurde. Im Werk von Marcks gäbe es dazu einige Entsprechungen. Das Werk gewinnt künstlerisch durch diese Offenheit, politisch verliert es natürlich an Klarheit, die es manchmal einfach geben muss. Denn diese Offenheit bedeutet eine Vermenschlichung des Politischen – und die führt im deutschen Vergangenheitsdiskurs oft genug zum Abstreifen der historischen Schuld.
Der Autor ist Betreiber der Galerie K’
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