wohnungspolitik: Wirksame Dämme
Die Situation auf dem Wohnungsmarkt ist dramatisch. Politisches Umsteuern tut Not, doch leider lässt die Große Koalition den Willen dazu vermissen
Rainer Balcerowiak
Jahrgang 1955, lebt als freier Journalist, Blogger und Buchautor in Berlin. Zuletzt erschien „Die Heuchelei von der Reform“ (edition berolina, 2017). Er bloggt zu Genuss, Sport und Politik unter: www.genuss-ist-notwehr.de.
In deutschen Großstädten und Ballungsräumen explodieren die Mieten nahezu ungebremst, in einigen Gebieten wird für 2018 mit einer durchschnittlichen Steigerung von über 10 Prozent gerechnet. Die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt droht einen der Grundpfeiler der sozialen Verfasstheit dieses Landes zu erschüttern: das Recht auf Wohnen.
Nach Jahren der wohnungspolitischen Agonie dämmert allmählich auch den politischen Akteuren, wie ernst die Lage ist. Alle Instrumente der Mietpreisbegrenzung im Bestand haben sich als weitgehend wirkungslos erwiesen. Modernisierungsumlagen machen die Mietspiegel zur Farce, die Mietpreisbremse bei Neuvermietungen funktioniert nicht. Auch das System des geförderten sozialen Wohnungsbaus ist krachend gescheitert, da es sich nur um eine temporär subventionierte Belegungs- und Mietpreisbindung handelt, die nach 20 bis 30 Jahren ausläuft. Gab es 1990 noch knapp 3 Millionen Sozialwohnungen, waren es Anfang dieses Jahres nur noch rund, 1,2 Millionen und in den kommenden Jahren werden im Durchschnitt jeweils weitere 50.000 Sozialwohnungen dem „freien Markt“ übergeben.
Für renditeorientierte Bauherren und Immobilienanleger ist Deutschland ein Paradies, auch wenn es erste Warnungen vor einer „Preisblase“ gibt. Schätzungen zufolge gibt es mindestens 1 Million Wohnungen zu wenig. Um den Mangel mittelfristig zu überwinden, müssten auf absehbare Zeit rund 400.000 Wohnungen pro Jahr gebaut werden, doch im Durchschnitt der vergangenen Jahre waren es lediglich 250.000. Wobei der Anteil der errichteten Sozialwohnungen nicht einmal ausreicht, um den Wegfall in Altbeständen zu kompensieren.
Die Ursachen für dieses Desaster sind bekannt. Ab Mitte der 1990er Jahre haben Bund, bundeseigene Unternehmen, Länder und Kommunen unzählige Wohnungen an Kapitalgesellschaften verscherbelt. Paketverkäufe wie 114.000 bundeseigene Eisenbahnerwohnungen und die komplette kommunale Berliner Wohnungsbaugesellschaft GSW (66.000 Wohnungen) an Finanzinvestoren schufen die Basis für die Etablierung börsennotierter Immobilienkonzerne wie Vonovia und Deutsche Wohnen. Parallel dazu kam der Wohnungsbau fast zum Erliegen. Die Erleichterung von Eigenbedarfskündigungen und Modernisierungsumlagen sowie die Beschneidung der kommunalen Instrumente für Mietobergrenzen in einzelnen Quartieren als Verdrängungsschutz wirkten als zusätzlicher Turbo für eine Entwicklung, die für viele Menschen längst zu einer existentiellen Bedrohung geworden sind.
Schon jetzt gibt es laut der BAG Wohnungslosenhilfe rund eine Million Wohnungslose in Deutschland, von denen der Großteil nicht auf der Straße lebt, sondern in Einrichtungen oder Behelfsquartieren. Vor allem in Großstädten haben die wenigsten von ihnen eine Chance auf dem regulären Wohnungsmarkt. Zunehmend sind auch Familien mit Kindern betroffen. Und niemand zweifelt daran, dass die Zahl der Wohnungslosen weiter steigen wird.
Nötig wäre also ein radikales, nachhaltiges Umsteuern in der Wohnungspolitik auf allen Ebenen, doch davon kann leider keine Rede sein. Die neue Bundesregierung setzt, abgesehen von ein paar kosmetischen Korrekturen, im Wesentlichen auf eine Fortsetzung der mietpreistreibenden Politik. Dabei gäbe es etliche Lösungsansätze zur Eindämmung des Mietenwahnsinns und zur Überwindung des Mangels an bezahlbarem Wohnraum. Da wäre zum einen das Mietrecht. Notwendig wären unter anderem ein Verbot der Eigenbedarfskündigung, eine drastische Kappung der Modernisierungsumlagen, erweiterte Härtefallregelungen bei Mieterhöhungen und eine Neuberechnung der Mietspiegel durch Einbeziehung älterer, meist günstigerer Bestandsmieten.
Ein wesentlich dickeres Brett müsste bei der Neubauförderung gebohrt werden. Nötig wäre ein Ausstieg aus dem System der temporären Mietpreissubvention beim sozialen Wohnungsbau. Stattdessen sollten die Fördermittel vorrangig für die Schaffung dauerhaft preiswerten Wohnraums in kommunaler Trägerschaft und darüber hinaus auch für gemeinnützige und genossenschaftliche Unternehmen verwendet werden. Dringend erforderlich wären ferner eine an der Schaffung günstigen Wohnraums ausgerichtete Liegenschaftspolitik und Maßnahmen gegen Bodenspekulation. Viele Kommunalpolitiker fordern in diesem Zusammenhang eine progressive Besteuerung des Wertzuwachses von Grundstücken und ein Vorkaufsrecht der Kommunen bei privaten Grundstücksverkäufen.
In den Städten müsste der Fokus stärker auf die Schaffung vieler Wohnungen in öffentlicher Trägerschaft gerichtet werden. Denn nur so sind konsequente Mietpreisbegrenzungen und der Ausbau geschützter Segmente für Wohnungslose und „marktferne“ Wohnungssuchende möglich. Vor allem gilt es aber, Neubauflächen schneller zu erschließen, die Planungsverfahren zu beschleunigen und innerstädtische Verdichtungspotenziale sozial und ökologisch vertretbar, aber auch konsequent zu nutzen. Ausgerechnet die „rot-rot-grüne“ Landesregierung in Berlin tritt dabei aber kräftig auf die Bremse – aus Angst vor Konflikten mit ihrer „neubaukritischen“ Klientel. Viele Neubauvorhaben werden faktisch unter Zustimmungsvorbehalt durch die „Stadtgesellschaft“ gestellt. Mit dem Ergebnis, dass die angepeilten Neubauquoten trotz starken Zuzugs und explodierenden Mieten bei Weitem nicht erreicht werden.
Nicht alles ist also möglich, aber doch vieles. Auch im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung ließen sich wirksame Dämme gegen entfesselte Immobilienspekulation und Mietenexplosion bauen. Schließlich geht es hier um das Grundrecht auf angemessene Versorgung mit Wohnraum, was sogar in einigen Landesverfassungen verankert ist. Leider fehlt zur Umsetzung der politische Wille.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen