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Ritt auf der Ziege

Der US-amerikanische Künstler Theaster Gates trat auf der Documenta als Kunstaktivist auf. Nun zeigt er im Sprengel-Museum Hannover seinen Opus Black Madonna

Unermüdlich im Kreis: die Installation mit dem sperrigen Namen „A complicated relationship between heaven and earth or when we believe“ von Theaster Gates Foto: Sprengel Museum

Von Bettina Maria Brosowsky

Der Mann kann sich zweiteilen: Theaster Gates stellt zurzeit in Basel und Hannover gleichzeitig aus. Der US-amerikanische Künstler zeigt jeweils Kapitel seines Opus „Black Madonna“, das sich, im weitesten Sinne, mit der Geschichte, der Darstellung und der Kraft der schwarzen Frau befasst. In ihr sieht ­Gates so etwas wie die Retterin – ganz persönlich, aber auch der Welt. Was eine im Kreis fahrende Ziege mit der Madonna zu tun hat? Dazu später.

Im Sprengel-Museum Hannover realisiert Gates seine Ausstellung zum Kurt-Schwitters-Preis, der ihm 2017 zuteil wurde. Seit 1982 im zweijährigen Turnus vergeben, sollen Künstler geehrt werden, „deren Werk einen Beitrag zur Verbindung und Integration der künstlerischen Gattungen leistet“, so die Satzung. Nicht immer war das Votum wechselnder Jurys nachvollziehbar. Der letzte Preisträger, Pierre Huyghe, auch er ein Veteran der Documenta 13, ließ Fliegen durch den Neubautrakt schwirren – das sahen nicht nur Tierschützer kritisch.

In Deutschland ist Gates noch gut als Kunstaktivist in Erinnerung: 2012, zur Documenta 13, hatte er ein baufälliges historisches Gebäude in der Kasseler Innenstadt hergerichtet, das 1826 erbaute und seit den 1970er-Jahren leer stehende klassizistische Hugenottenhaus. In anderthalbjähriger Arbeit sorgte er mit einer Truppe aus Handwerkern, Umschülern und Künstlern für eine neue Dachkonstruktion, Elektroinstallationen und eine zusätzliche Fluchttreppe auf der Gartenseite.

Während der Documenta wurde hier gelebt, gekocht, gefeiert, es fanden Konzert-Performances von Gates Ensemble „The Black Monks of Mississippi“ statt. Der Besucherandrang war riesig, denn wohl viele spürten, dass hier nicht lediglich eine beliebige Eventlocation ihre Pforten öffnete. Vielmehr standen so grundlegende Themen zur Diskussion wie die Verfügungsgewalt über Räume, Häuser und Stadtquartiere, es ging um die Selbstorganisation menschlichen Miteinanders.

Kunst und Kultur fielen dabei therapeutische Kräfte zu, sie könnten Katalysatoren urbaner und sozialer Erneuerung sein, getragen aus dem Glauben an einen Ort und seinen Geist – wie in diesem symbolischen und spirituellen Heilungsversuch zumindest temporär einmal demonstriert. Denn nachhaltig war das Experiment leider nicht: Nach der Documenta verfiel das Hugenottenhaus sehr schnell wieder, derzeit versucht ein Kasseler Immobilienmakler, es an den Mann zu bringen.

Theaster Gates betrat mit der Aktion zur Documenta kein künstlerisches Neuland, solche Projekte waren damals bereits so etwas wie ein Markenzeichen des 1973 in Chicago geborenen Künstlers. 2006 hatte er in der South Side seiner Heimatstadt, einem von der Arbeiterklasse der African Americans geprägten Stadtteil, ein marodes Stadthauses revitalisiert. Der kleine Holzbau wurde als Mikro-Bibliothek, Galerie und Treffpunkt öffentlich zugänglich gemacht.

Es folgten weitere Gebäude nun mit prononciertem Programm schwarzer Kultur: 2015 eröffnete in einem stattlichen Bankgebäude von 1923 die „Stony Island Arts Bank“. Sie beherbergt mehre große Archive: Bücher und Periodika etwa der Johnson Publishing Company, die ab den 1950er-Jahren Zeitschriften wie „Jet“ und „Ebony“ herausgab, Magazine zu Mode und Lifestyle für schwarze Leser*innen.

Mit einem auch optisch schockierenden, mehrteiligen Bericht über den Lynchmord an Emmet Till, einem 14-jährigen Schwarzen, der angeblich eine weiße Frau belästigt haben sollte, bekannte sich „Jet“ 1955 zur aufkommenden Bürgerrechtsbewegung.

Eine besondere Sammlung, aus der sich Theaster Gates bedient, sind die rund 4.000 Stücke sogenannter Negrobilia, Massenkulturobjekte und Artefakte wie Nippesfiguren oder Spielsachen, die stereotype Bilder von Schwarzen verewigen wollen, die der afroamerikanische Banker die Edward J. Williams über Jahrzehnte zusammengekauft hatte, um sie der Öffentlichkeit zu entziehen. Mittlerweile sichern Stiftungen, verschiedene handwerkliche und künstlerische Ausbildungsprogramme und auch Sponsoren den Betrieb der „Stony Island Arts Bank“. Und die kontinuierliche Erweiterung und die stabile Finanzierung dieser Institution bieten Spielraum und Material für neuartige künstlerische Projekte.

Studiert hat Theaster Gates übrigens Religionswissenschaften, Städtebau und Keramik, sein Vater arbeitete auf dem Bau. Wohl nur so ist das ausschweifende Assoziationstalent – materiell, intellektuell, quer durch die Disziplinen – zu erklären, das alles mit allem produktiv zu verbinden weiß.

Für das Werk „Black Madonna“ hat Gates mit geistreicher Kombinatorik ein mysteriöses Panoptikum schwarzer, emanzipativer und weiblicher Kultur arrangiert. Große Fotografien von der Bürgerrechtlerin Coretta King und der Schauspielerin Eartha Kitt flankieren die Durchgänge. Sie sind moderne Interpretationen der „Schwarzen Madonna“, ein Phänomen christlicher Marienverehrung. Und es regt zu Spekulationen an: steht das Schwarz ihres Antlitzes für das Leiden, das sie stellvertretend für die Menschheit auf sich nahm?

Daneben hängen Neon-Objekte, sie sind die freie Übersetzung soziologischer Erhebungen des ersten schwarzen Harvard-Doktoranden, W. E. B. Du Bois, im frühen 20. Jahrhundert ein Vorkämpfer der Bürgerrechtsbewegungen in den USA und in Afrika. Jahrgänge der Zeitschrift „Jet“ sind gebunden und wie minimalistische Objekte an die Wand montiert, der Rückentext heißt „If Jesus was black“. Sie enden im institutionskritischen Schlussakkord: „And all the museum said Amen.“

Und dann irrlichtert da noch ein Objekt auf einer Kreisbahn durch den Raum, eine ausgestopfte Ziegenbüste mit weißem Tuch über dem Rumpf. Auch hier hilft der kryptische Titel nur bedingt weiter: „A complicated relationship between heaven and earth or when we believe“. Die Ziege ist ein mehrdeutiges Objekt, sagt Theaster Gates. Sie stammt aus dem Nachlass amerikanischer Freimaurerei, der immer verspottend unterstellt wurde, dass der Ritt auf einer Ziege zum Aufnahme-Ritual gehöre. Oder ist die Installation ein Hinweis auf den Sündenbock … Der Schwenk zur Madonna bleibt dem Betrachter überlassen.

Bis zum 9. September im Sprengel-Museum Hannover

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