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Fiktion der Nichteinreise? Allein der Begriff entrechtet!

Die Union nutzt in ihrer Einigung eine juristische Taschenspielerei und macht somit den Grenzübertritt für Geflüchtete unmöglich, auch wenn er physisch erfolgt. Ein Versuch, rechtsfreie Räume zu legalisieren

Von Daniél Kretschmar

Die Grenze ist kein Ort, sondern ein Zustand. Dass Menschen die Grenze als klar definierte Linie im geografischen Raum wahrnehmen können, ist Ergebnis einer mehr oder weniger freiwilligen Übereinkunft aller Anrainer: Hier endet ein Territorium, ein neues beginnt.

Gerne verdrängt wird die Willkürlichkeit der Festlegung, dass an einem Ort bestimmte Rechte Geltung haben, jedoch gänzlich andere auf der anderen Seite der Grenze, nur einen Schritt weit entfernt, und noch einmal andere genau auf der gedachten Grenzlinie. Historische und topografische Zufälle bestimmen Form und Grenzen des Nationalstaates und des reklamierten Wirkungsbereichs seiner Werte, Regeln und Kultur. Wie erfunden die Idee der Grenzlinie ist, wie real hingegen der Grenzzustand, belegt, mutmaßlich ungewollt, neuerdings das Einigungspapier zwischen CDU und CSU mit der Popularisierung der Idee einer „Fiktion der Nichteinreise“.

Sie macht den Grenzübertritt, das Überschreiten einer Linie, die von einem Territorium in das nächste führt, unmöglich. Und zwar unabhängig davon, ob dieser Übertritt körperlich vollzogen wurde. Die Grenze verlässt so ihren ohnehin fiktiven Ort und wird stattdessen um Menschen gezogen, die auf diese Weise ganz rechtskonform in einem Zustand der Rechtlosigkeit gehalten werden. Nichts als ihr nacktes Leben mit sich führend und dieses auf dem Weg riskierend, haben Flüchtende immerhin die zumindest theoretische Möglichkeit, physische Barrieren wie Mauern und Meere zu überwinden. In Lagern gehalten sollen sie dann daran gehindert werden, vollständig in den Wirkungsbereich bürgerlicher (also auch: einklagbarer) Rechtsnormen einzutreten. Sollte es ihnen dennoch gelingen, Ketten und Barrieren zu sprengen, soll nun vorsorglich der Bannkreis der „Fiktion der Nichteinreise“ unumstößlich um sie gezogen werden.

Das Ganze mag fürs Erste den Eindruck einer eher akademischen Übung erwecken, hat jedoch sehr konkrete Auswirkungen. Ganz offensichtlich soll der Zugang zu rechtsstaatlichen Asylverfahren erneut erschwert werden. Daneben stellt sich die Frage, wie genau die Träger des Bannkreises ermittelt werden sollen, wenn sie sich nicht mehr in geografischer Grenznähe befinden, aber rein fiktional noch nicht eingereist sind. Soweit sogenanntes Racial Profiling trotz gegenteiliger Beteuerung nicht ohnehin bereits Arbeitsalltag für viele Polizeibehörden ist, wird diese rassistisch diskriminierende Praxis ganz beiläufig in ihren Werkzeugkasten übernommen werden.

Es ist davon auszugehen, dass nicht nur Geflüchtete Ziel der anlasslosen Kontrollen und Gängeleien sein werden. Ganze Personengruppen im Wortsinne aus dem Recht zu setzen offenbart eine Agenda, für die „Recht und Ordnung“ eben keine stabilen und moralisch gerechtfertigten Grundsätze, sondern flexibel zu deutende Propagandabegriffe sind. Der Versuch, eine politische, gern auch brutal inhumane Agenda über die Schaffung rechtsfreier Räume zu legalisieren, hat dabei viele historische Vorbilder, gerade in der deutschen Geschichte.

Recht bildet immer sowohl politische Absichten als auch materielle Realitäten ab. Die schon jetzt mörderische Realität der Bekämpfung von Flucht und Migration ist hinreichend bekannt. Welche Absichten mit der räumlichen Entgrenzung à la „Fiktion der Nichteinreise“ verfolgt werden, ist derweil nicht schwer zu erraten: Die Transzendenz dieses Grenzzustands soll bis tief in den territorialen Geltungsbereich bürgerlichen Rechts hinein wirken.

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