piwik no script img

Archiv-Artikel

horst köhlers vorbild heinrich lübke von WIGLAF DROSTE

Das Amt des Bundespräsidenten zählt zu den Geißeln der Demokratie. Ständig ist ein nutzloser Schnacker unterwegs und macht Wind. Der aktuelle Bundespräses Horst Köhler nannte den Besuch von Papst Benedikt Ratzinger einen „Freudentag für uns alle“ – zu solch papi-autoritären Nullsätzen kann Horst Köhler dann immer sehr schön diesen sportiv-jungenhaften Zwangsoptimismus verströmen, wie man ihn von FDJ-Chefs und US-Präsidenten kennt.

Unübertroffenes, aber temporär durchaus erreichtes rhetorisches Idol aller deutschen Bundespräsidenten nach ihm, von Gustav Heinemann abgesehen, war Heinrich Lübke. Der CDU-Mann, Absolvent einer Zwergschule im Sauerland und im Nationalsozialismus als Architekt an der Planung von Konzentrationslagern beteiligt, war als Präsident der Bundesrepublik in den Sechzigerjahren ein Meister der Kunst, auf dem Glatteis der freien Rede ins Schlingern zu geraten, zu straucheln und dann olympiareif zu stürzen. Noch während seiner Amtszeit brachte das Satiremagazin Pardon eine LP mit einer kommentierten Sammlung seiner prächtigsten Ausfälle heraus. Lange vergriffen, ist sie soeben bei Kunstmann als CD wieder erschienen: „Equal goes it loose – Heinrich Lübke redet für Deutschland“.

Das Tondokument startet mit einem Belastungstest für das Trommelfell: Eine mexikanische Militärkapelle bringt sich 1966 fast um bei der Anstrengung, zu Ehren von Heinrich Lübkes Besuch die deutsche Nationalhymne abzuspielen. Es ertönt eine Version des Liedes, die an Schräglage, Schiefheit und prügelndem Gepauke nichts zu wünschen übrig lässt. Unfähiger waren nur die Schöneberger Sängerknaben Brandt, Momper, Wohlrabe et cetera, die 1989 nach der Öffnung der Mauer mit ihrem von Text- und Melodiekenntnis unbelasteten Abgesang des Deutschlandliedes die Ästhetik des Patriotismus für alle Zeiten festschrieben.

„Da hört niemand zu, was?“, fragt Lübke in die Umnachtung hinein, die ihn umgibt. Zum „Tag der deutschen Einheit“ spricht er: „Liebe Mitbürger, liebe Jugend. Ich danke zunächst einmal herzlich für den großartigen Empfang, den mir hier diese Stadt und hier der Marktplatz voller gedicht … dichter Leute … steh … dicht stehender Leute bereitet hat.“

Das ist erst der Anfang, und es wird nie mehr besser: „Ich darf Ihnen aber auch das eine versichern: Wenn ich dieses Jahr hier zum 17. Juni in … äh …“ – an dieser Stelle verliert Lübke den Faden vollends, weiß nicht, wo er sich befindet, aus der Menge wird „Helmstedt!“ gerufen, Lübke greift das dankbar auf und macht erleichtert weiter: „ … Helmstedt spreche.“ Gelächter brandet auf, unbarmherzig.

In den Siebzigerjahren, als Jugendlicher, hatte ich die Pardon-Platte auf Tonband und viel Spaß damit. Das Wiederhören ist seltsam. Lübke war furchtbar – wenn ich aber heute seine gleichermaßen verzweifelten wie zuverlässig vergeblichen Versuche höre, wenigstens ohne Totalschaden durch einen deutschen Satz zu kommen, tut er mir vor allem Leid. Da zwinge ich mich doch lieber, den geschmeidigen, religiös-patriotischen Kaffeesatz zu analysieren, den der zombiehaft fit for fun sich präsentierende Horst Köhler absondert.