Mit der Schubkraft von Kaffee

Die gute Punkrock-Erziehung genossen, glückselige Gesichter in den Reihen: Die Descendents aus Kalifornien spielen im Astra ein schnörkelloses Set

Immer noch bestens im Tritt: Descendents im Astra, vorn Sänger Milo Aukerman mit der umgeschnallten Trinkflasche Foto: Roland Owsnitzki/Votos

Von Jens Uthoff

Jede Band braucht ihren Mythos. Der der kalifornischen Punkband Descendents ist es, dass erst der ausgiebige Konsum rauer Mengen Koffein die Gruppe zu dem gemacht hat, was sie heute ist. Als ihr Sänger Milo Aukerman sich an diesem Konzertabend vor dem Stück „Coffee Mug“ kurz schüttelt, es mit einem „Mug Mug Mug“-Geschnatter beginnt und der Song 30 Sekunden später schon wieder vorbei ist, weiß man auch, wie das gemeint ist: Dank Kaffee brettert diese Band nun schon jahrzehntelang die Songs derart schnell runter, dank Kaffee überschreiten ihre Punkrocksongs selten die Zweiminutenmarke.

Bei den Descendents, die am Donnerstagabend nach längerer Berlin-Abstinenz im Astra gastieren, ist das Wort „Legende“ wirklich mal angebracht: Seit 1977 gibt es die Band – und auch wenn Schlagzeuger Bill Stevenson das einzige verbliebene Gründungsmitglied ist, spielen sie seit den frühen Achtzigern quasi in unveränderter Besetzung. Zwischendurch legten sie häufiger mal ein paar Jahre Pause ein, etwa weil Sänger Aukerman sich seiner Karriere als Doktor der Biochemie widmete, fanden aber auch immer wieder zusammen. Vor zwei Jahren nahmen sie ein neues Album auf, gewidmet ihrem Lieblingsgetränk: „Hypercaffium Spazzinate“.

Die Descendents, inzwischen allesamt Mitte 50, spielen ein schnörkelloses Set, Hit reiht sich an Hit, viele Stücke von „Everything Sucks“ (1996) sind dabei, einem der besten Punkalben der neunziger Jahre. Das große Plus der Band ist, dass sie im Gegensatz zu anderen, oft einlullend klingenden melodischen Punkbands auch andere Stile draufhat: Da streut der technisch hervorragende Gitarrist Stephen Egerton schon mal einen Minute­men-mäßigen Funkpart ein, da geht es ganz kurz in prog­rockige Gefilde, und da klingt oft auch eine Liebe zum hymnischen Popsong durch. Oder es wird kurz „Break On Through“ von den Doors angestimmt. Bei alldem driftet das Quartett aber nicht ab, verliert sich nie in Mucker-Passagen, dazu hat man dann doch eine zu gute Punkrock-Erziehung genossen.

Die gute Punkrock-Erziehung ist auch im Publikum zu spüren, selbst wenn sie beim Großteil inzwischen schon ein Weilchen zurückliegt und es ebenso ergraut ist wie seine Helden auf der Bühne. Ein veritabler Moshpit bildet sich im gut gefüllten Saal, Menschen lassen sich über die Köpfe anderer Menschen hinweg durch den Saal tragen. Man sieht glückselige Gesichter in den Reihen – und bei Songs wie „Hope“ oder „Thank You“ können einem tatsächlich mal kurz die Augen feucht werden, denn aus Aukermans Zeilen spricht die Schönheit der Musik, die heilende Kraft der drei Akkorde: „I won’t say your name / You know who you are / I’ll never be the same again now, no way / I just want to say: thank you for playing the way you play“.

Eine gesunde Mischung aus Wut und Humor klingt in diesen eineinhalb Stunden durch

Es hat in keinem Moment dieses Abends etwas Peinliches oder Abgedroschenes, wenn die älteren Herren auf der Bühne da juvenile Songs wie „I Don’t Wanna Grow Up“ oder „When I Get Old“ spielen – im Gegenteil. Vor der Zugabe geht Drummer Bill Stevenson, ein Punk-Urgestein, das auch schon bei Black Flag hinter der Schießbude saß, kurz nach vorne und sagt auf so einfache Art und Weise „Ich freue mich, hier zu sein“, dass man ihm nur Glauben schenken mag (zumal er schon mehrmals dem Tod von der Schippe gesprungen ist). Und auch wenn es insgesamt ein routiniert runtergerockter Auftritt ist, merkt man allen noch die Freude am Spielen an – auch das hat man schon anders gesehen bei gealterten Punkbands. Dagegen kommen die Descendents durch und durch integer rüber – dass sie auch in eigens verfassten Songs gegen Trump und die Verrohung der US-Gesellschaft ansingen, passt ins Bild: „The scum rising from a masterbating race / There’s nothing American about us now“, heißt es in „Who We Are“ (2017).

Eine gesunde Mischung aus Wut und Humor klingt in diesen eineinhalb Stunden durch, die Texte sind dabei ebenso auf dem Punkt wie die Musik („I Like Food“, „Everything Sux“, „I’m Not a Punk“). Ob das auch dem Koffeindoping zu verdanken ist? Nun, zumindest hätte man dann eine Ahnung, was sich in der Army-/Trekking-Trinkflasche befindet, die Sänger Milo Aukerman während des gesamten Konzerts umgeschnallt hat.