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Tourismus zu Hause

Beim „Treffen Total“ machen 25 Künstler*innen ihre Arbeitsprozesse öffentlich und laden dazu ein, daran teilzuhaben – Ausflüge mit ungewohnten Blickwinkeln inklusive

Von Robert Matthies

Eigentlich ist es ein ganz gewöhnliches Bild an so einem schönen Tag: Ausflug, eine Gruppe läuft den Elbstrand entlang. Aber etwas irritiert die anderen Spaziergänger*innen: Alle in dieser Gruppe laufen rückwärts, sehen nur durch einen kleinen Handspiegel, was vor (oder hinter?) ihnen liegt. Immer wieder werden sie angesprochen: Ist das eine neuer Sportart, ein Trend, ein Wettbewerb?

Ein Trend ist es tatsächlich schon länger, ein Wettbewerb auch: Andernorts wetteifern sportliche „Retrorunner“ längst über diverse Distanzen. In China übt man sich schon seit Jahrtausenden im Rückwärtslaufen – weil es die Aufmerksamkeit trainiert, wenn man mal einen anderen Blickwinkel einnimmt; weil es Muskeln aktiviert, die man sonst nicht nutzt; und die Nerven soll es auch beruhigen: Mal einen Gang runterschalten – und noch einen mehr.

Auch die 15-köpfige Gruppe am Elbstrand trainiert ungeahnte Muskelpartien und ihre Aufmerksamkeit. Die richtet sich aber auch auf jene, die unverhofft zum Publikum werden, nimmt man mal eine andere Perspektive ein – und an, dass das Ganze eine Performance im öffentlichen Raum ist. Oder die sogar selbst performen: Indem sie eben Fragen stellen oder ein paar Schritte mitlaufen.

Natürlich sind die Rückwärtsgänger*innen tatsächlich alle Künstler*innen, und sie haben sich etwas dabei gedacht. Aber nicht ums Präsentieren geht es ihnen bei diesem Treffen, sondern ums Lernen: voneinander, übereinander und von all denen, auf die man da so trifft. „Man arbeitet als Künstlerin meist so isoliert, selbst wenn man oft mit anderen zusammenarbeitet“, sagt die Choreografin Ursina Tossi. „Für mich eröffnet dieses Treffen Möglichkeiten, meine Arbeit anders zu sehen und mich anders mit anderen zu verbinden.“

Tossi ist eine von 25 Künstler*innen aus den Bereichen Tanz, Theater, Performance oder Musik, die seit drei Wochen am „Treffen Total“ teilnehmen: Die meisten kommen aus der sogenannten freien Szene in Hamburg, wie Tossi, die Choreografin Jenny Beyer oder die Theatermacherin Greta Granderath. Aber auch Gäste wie der Isländer Sigurður Arent Jónsson oder der Choreograf Giulio D’Anna aus Amsterdam sind dabei.

Experimentieren und forschen

Vier Wochen lang wollen sie, im und ausgehend von K3, dem „Zentrum für Choreographie“ auf Kampnagel, einen offenen Arbeitsprozess als Kunstwerk gestalten, wollen miteinander experimentieren und forschen. Und laden alle Interessierten ein, daran teilzuhaben. „Wir wollen das Innenleben einer künstlerischen Praxis mit der Außenperspektive eines Publikums verbinden, ohne dass das eine das andere einschränken muss“, sagt der K3-Dramaturg Matthias Quabbe. Eine Regie oder eine künstlerische Leitung gibt es dabei nicht, Scheitern ist ausdrücklich erlaubt. „Man kriegt hier alles: den Prozess, das ganze Dazwischen, auch all das sonst Aussortierte“, sagt Quabbe.

Jeden Morgen treffen sich alle Künstler*innen zum Aufwärmtraining. Auch dabei kann jede Interessierte teilnehmen. Mal gibt’s Yoga, mal tanzen alle auf dem Dach eines der Hafenstraßenhäuser, mal verwandeln sie sich in eine Werwolfin. Jeden Morgen gestaltet ein*e andere*r Künstler*in. Anschließend wird diskutiert, entwickelt, geplant. Und gemeinsam gegessen: Eine Köchin gehört auch zur Gruppe. Und einmal in der Woche geht’s dann raus, gemeinsam „Tourismus machen“ – als Gäste in der (meist) eigenen Stadt. „Die Arbeit nach draußen, in einen anders regulierten Raum als das Theater zu verlagern, hilft, gewohnte Sichtweisen zu brechen“, sagt Choreografin Viktoria Hauke.

Aber auch um die Sichtweise der Stadtgesellschaft, die ja für Kultur und Kunst zahlt, auf die künstlerische Arbeit geht es. „Ein Großteil davon ist sonst ja unsichtbar“, sagt Tossi. „Man spricht über Projekte“, ergänzt Gulio D’Anna, „aber nicht über die Zeit und Bezahlung, die ein Künstler braucht, um sie und seine künstlerische Identität zu entwickeln“.

Unsichtbar bleibt dabei meist auch die politische Dimension gerade choreografischer Arbeit: Das Forschen mit dem Körper und über die Möglichkeiten, ihn im ja schon von allerlei sichtbaren und unsichtbaren Bedingungen und nicht-künstlerischen Choreografien durchzogenen (Stadt-)Raum zu bewegen oder nicht: Was es also bedeutet, einen Körper zu haben und mit ihm zu leben: Das geht uns schließlich alle an.

Offene Trainings: Mo, 16. 7., bis Mi, 18. 7., jeweils 10 Uhr, Kampnagel/K3; Fest mit Präsentationen: Do, 19. 7., 18 Uhr, K3; Fr, 20. 7., 18–21 Uhr, im öffentlichen Raum; Sa, 21. 7., 12–18 Uhr, K3 und Umgebung; www.map.treffentotal.de/#timetable

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