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Endlich wieder Verlängerung!

Auch wenn nur selten ein Pass ankommt und Elfer en masse verschossen werden: Der K.-o.-Modus in den Achtelfinalen erlaubt es dem Spiel endlich, sich zum Drama zu entwickeln

Von Frédéric Valin

Endlich wieder Verlängerung! Müde Männer schleppen sich über das weite Feld, das von Minute zu Minute länger wird. Die Luft wird dicker, die Sonne kommt immer näher. Manchmal fällt einer um, einfach so, als hätte man ihn angesägt und ein kleiner Wind habe ihn nun erwischt. Er hält sich die Wade: ein Krampf. Das Fernsehen zoomt auf sein Gesicht, immer zeigt er seine Zähne, immer beißt er sie zusammen. Ein anderer kommt hinzu und drückt ihm den Fuß, oft ist es genau der Gegenspieler, der den darniederliegenden Körper über die letzten zwei Stunden aufs Unbarmherzigste beharkt hat. So stehen und liegen sie da, ein Moment der Zärtlichkeit, eine Skulptur gewordene Anklage geschundener Körper gegen das Publikum, das sie gezwungen hat, über ihre Kräfte hinauszugehen; eine seltene Geste der Solidarität.

Endlich wieder Verlängerung! Kein Pass kommt mehr vernünftig an. Die ausgelaugten Körper, kaum noch im Gleichgewicht, rennen den krummen Bällen hinterher. Der Ball kommt zum Torwart, der holzt einfach das Ding nach vorne. Der Stürmer stöhnt: noch mal 20 Schritte, noch mal sprinten. Der Verteidiger erläuft vor ihm den Ball und schlägt ihn weit zurück: Seine Mannschaftskameraden jubeln ihm zu, es wird sich abgeklatscht. Grimm und Wille stehen in den Gesichtern.

Manchmal, ganz selten, passiert doch noch etwas: ein Pass, der ankommt, eine Gelegenheit zum Schuss; aber es ist selten, dass sich das mögliche Ereignis konkretisiert. Das Spiel ist im Fluss, es ändert seine Richtung nur noch sehr selten. Dann der Schlusspfiff, alles legt sich nieder; erleichtert, dass das Schlimmste jetzt noch kommt.

Endlich wieder Elfmeterschießen! Jetzt wird beraten im Kreis: Wer kann noch stehen? Die Spieler liegen da, ihnen ­werden die Beine geschüttelt, und irgendwer redet auf sie ein; sie nicken, wie in Trance. Die Seiten werden gewählt; die Torhüter hüpfen, breiten die Arme aus, machen sich groß wie Paradiesvögel beim Balztanz. Der Spieler geht den langen Weg vom Mittelkreis zum Strafraum, er weiß wohl, dass dies ein Abend ist, an den er sich sein ganzes Leben wird erinnern – können oder müssen, das ist noch nicht klar. Als wäre alles ein Western, und er selbst ist sich noch nicht gewiss, ob er im Lager der Bösen oder der Helden steckt.

Endlich wieder Elfmeterschießen! Der Schütze legt den Ball auf den Punkt, er geht zurück, die Augen zu Boden, dann ein kurzer Blick zum ­Schiedsrichter, der gibt den Ball frei, ein Anlauf, und dann …

Einer dreht grußlos ab, man sieht nur am leichteren Schritt, dass er getroffen hat; einer klatscht ins Publikum, er schreit etwas, es soll entschlossen wirken; einer ballt die Faust, einer reißt sie hoch.

Die Torhüter hüpfen, breiten die Arme aus, machen sich groß wie Paradiesvögel beim Balztanz

Einer springt ins richtige Eck, einer hat den Fuß am Ball, einer steht auf und hüpft hoch und rennt zur Seite und guckt ganz wild, die Augen groß, der Mund entzückt, ein Kind, das sehr viel Zucker aß; dann kommen die anderen, umarmen ihn, ­bringen ihn zu Fall mit ihrer Liebe und Zuneigung, hüpfen obendrauf, drum herum das Toben der Fans, die auch dazuwollen, man sieht es, wie sie über die Absperrung schreien und winken, sie sind jetzt Teil eines größeren, ein Rausch, ein …

Einer steht, das Gesicht im Trikot vergraben; einer schaut ratlos in den leeren Himmel; einer, die Hände in der Hüfte, betrachtet kopfschüttelnd den Boden unter seinen Füßen. Einer sitzt verloren im Mittelkreis, er fragt sich etwas, ohne zu wissen, was es ist.

Endlich wieder Elfmeterschießen!

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