piwik no script img

Politisch, poetisch, ruppig

Von Chanson bis Noiserock: Martin Hossbach, Journalist und Kurator des Festivals Pop-Kultur, betreibt unter seinem Namen ein Label, dessen Künstler*innen am Freitag in der Kantine am Berghain vorgestellt werden – und auch neue Veröffentlichungen präsentieren

Von Robert Mießner

Zwischen Dublin und Athen liegen knapp 3.800 Kilometer und 40 Stunden Fahrtzeit, dabei kommen beide Städte in einem Lied von 3 Minuten und 20 Sekunden zusammen. Das Lied beginnt mit dem Flirren einer Bouzouki, der griechischen Laute, über einem Besenschlagzeug. Streichermelancholie kommt hinzu, dabei ist die Klage der Sängerin keine verhaltene: „An einem Augustmorgen in der Dämmerung / bin ich hinausgegangen / und konnte nicht mehr ruh’n. // Denn da sah’ ich ein Mädchen / schluchzen in der Nacht / Mein Herz hat ihn verloren / den Jungen, der lacht.“

„The laughing boy“ (To gelasto paidi), ist einer der populärsten Songs des griechischen Komponisten Mikis Theodorakis und für viele seiner Landsleute eng verbunden mit dem Widerstand gegen die Obristendiktatur. Sein Text freilich wurzelt in einem anderen Kampf, geschrieben hat ihn der irische Schriftsteller Brendan Behan für Michael Collins, einer der Köpfe des Irischen Unabhängigkeitskampfes der Jahre 1919 bis 1921, mit 31 Jahren von den eigenen Leuten erschossen. Brehan baute den Text in sein Drama „Die Geisel“ (The Hostage) ein, Theodorakis erarbeitete daraus 1961 einen Liederzyklus nach Übersetzungen des griechischen Autors Vasilis Rotas. So läuft Internationalismus!

Er tut das auch knapp 60 Jahre später, wenn „Der lachende Junge“ eine von fünf Theodorakis-Interpretationen ist, welche die Berliner Musikerin und bildende Künstlerin Michaela Meise auf ihrem zweiten Album mit dem Segen und einer kleinen Korrektur des großen Griechen versammelt und auf dem Label von Martin Hossbach, Ex-Spex-Redakteur und Kurator des Festivals Pop-Kultur, veröffentlicht hat.

Darunter ist, wieder zu einem Text von Brehan, „Niemand ist jetzt mehr da“ (Den Pairnei Edo Kaneis). Der Titel wirkt beklemmend, schließt er sich doch an „Hohes Lied“ (Asma Asmaton) aus Theodorakis’ „Mauthausen Trilogie“ an. Wer das Lied noch nicht kennt, könnte die erste Strophe tatsächlich für eine wehmütige Anverwandlung des Hohelied Salomos halten. „Meine Freundin ist wunderschön / Sie trägt ihr Alltagskleid.“ Bis dann der Refrain einsetzt: „Ihr Mädchen aus Auschwitz / Ihr Mädchen aus Dachau / Habt Ihr meine Freundin nicht gesehen?“ Meise begleitet sich dabei, wie auf den meisten Songs des Albums, auf dem Akkordeon. Hier gerät ihr das Instrument zu einer Orgel.

„Ich bin Griechin“, Meises Plattentitel, ist eine Hommage an das Album „Je Suis Grecque“ von Melina Mercouri, 1971 veröffentlicht, nachdem ihr die griechische Militärjunta die Staatsbürgerschaft aberkannt hatte. Das Cover fungiert als ein weiterer Verweis: Es zeigt eine vermummte Gestalt mit Anarchistenstirnband und Funkgerät inmitten einer offensichtlich robusten Auseinandersetzung; Ihr weißer Over­all ist auf Griechisch mit dem antiautoritären Klassiker „Wir sind die, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben“ verziert. Das Motiv hat der Covergestalter Vasilis Marmatakis in einem Zine von 1985 gefunden, das Foto entstand während einer der zahlreichen Besetzungen des Athener Polytechnio, deren bekannteste die von 1973 ist, der Aufstand, der das Ende der Junta einläutete.

Keine Frage, Meise hat ein Album politischer Chansons vorgelegt, doch sind diese gleichzeitig poetisch. Ihr Gestus kann den Umständen entsprechend aber auch ruppig sein, so in „Ich bin ein Fremder“, nach George Moustakis „Le Métèque“.

Durchgehend ruppig wird es auf der zweiten Martin-Hossbach-Veröffentlichung, die diesen Freitag, ebenso wie Meises Album, auf einem Labelabend im Berghain vorgestellt wird: „Kabinett von Papen“ von den Dirty Dishes, einem von den Musikern Jan Müller (Tocotronic) und Rasmus Engler (Herrenmagazin) gegründetem Bandkollektiv. Franz von Papen, vorletzter Kanzler der Weimarer Republik vor der tausendjährigen Nacht, hat sich sicher kaum träumen lassen, dass sein Präsidialkabinett einmal den Titel eines Noiserock-Albums abgeben würde. Er und seine Männerrunde waren durch die Bank erzkonservative Hunde – ein einziger von ihnen, Johannes Popitz, sollte unter den Nazis den Widerstand wählen.

Songs über Kanzler von Papen

Jedes Stück des laut Müller an einem Tag komponierten und eingespielten, am nächsten Tag gemixten Albums ist nach einem von Papens Ministern benannt. Da wäre zum Beispiel Wilhelm Freiherr von Gayl, zuständig für Inneres, Antisemit und Vordenker des Ariernachweises. Er verlöre gewiss die Contenance; wüsste er, woher das elektronische Motiv stammt, das durch sein Stück läuft: Es ist der DDR-Propaganda-Sendung „Der schwarze Kanal“ entnommen, deren Titelmelodie wiederum eine atonale Verzerrung des „Lieds der Deutschen“ und das Beste an Karl-Eduard von Schnitzlers TV-Kolumne war.

Wobei von Schnitzler zumindest zugute gehalten werden muss, dass er, der aus der Kaste derer von Papens kam, in seiner Jugend eben einen anderen Weg ging. Anders als Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk, NSDAP-Ehrenmitglied und Kriegsverbrecher, dem die Dirty Dishes eine Walzermelodie, deren Herkunft Jan Müller verschleiert sehen möchte, und „einen Text um diverse Währungen, deren Wiedereinführung uns als reizvoll erscheint“, untergeschoben haben.

Darf man mit Entsetzen Scherz treiben? Manchmal muss man. Jan Müller weiter über das Stück zu Reichswehrminister Kurt von Schleicher, Text von Rasmus Engler: „Er schleuderte ihn recht schnell aus seiner Feder. Grundlage war eine Stellenanzeige, die uns anekelte, die nach unserer Recherche widerliche Persönlichkeit des von Schleicher und allgemeine Albernheit.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen