: „Ich suche Momente, wo alles ganz still wird“
Malen wie aus einer verlorenen Zeit: Der Hamburger Künstler Henrik Hold ist mit seiner Arbeit immer weiter gegangen, hat die Stille seiner Küche verlassen hin zur Welt draußen. Zu sehen ist seine Auseinandersetzung mit den Grenzen zwischen Konkretem und Abstrakten in der Trittauer Wassermühle
Von Frank Keil
Die Gerüste sind weg, die Bauplanen auch. Das Licht fällt seitlich ungehindert durch die Fenster auf die Dielenböden mit ihren breiten Spalten, strahlt ab auf die Wände. Licht, das seine Bilder in eine ganz eigene und milde Farbigkeit taucht. „Bei der Eröffnung konnte ich hier nur Kunstlicht einsetzen“, sagt Henrik Hold und weist auf die parallel gesetzten Strahlerleisten an der Decke.
Der Hamburger Maler stellt in der Galerie der Trittauer Wassermühle aus, und dass er hier ausstellt, verdankt er einem langen Angang und auch der eigenen Geduld: „Ich hatte mich vor ewigen Zeiten für eines der hier geförderten Ateliers beworben, hatte keines bekommen, aber man sagte: Wenn es mir nichts ausmache, könne meine Mappe ruhig dableiben.“ Er bewirbt sich für ein Stipendium, er bekommt es nicht, seine Mappe soll er trotzdem nicht mitnehmen. „Es hieß dann, vielleicht wird es eine Ausstellung, wir gucken mal, 2016 wusste ich dann, dass es 2018 eine Ausstellung werden wird, eine so lange Vorbereitungsphase hatte ich noch nie“, sagt er.
Und so ist er also doch hier angekommen, im Ausstellungshaus, betrieben und finanziert von der Sparkassen-Stiftung Stormarn sowie der Gemeinde Trittau. Früher hat hier eine Mühle geklappert, das tut sie jetzt natürlich nicht mehr.„Du musst nur ein paar Schritte gehen“, sagt Hold und zeigt nach draußen, weist in nördliche Richtung. Da werde es sehr schön. Und ruhig. Der Wald verschlucke einen trotz geordnetem Wanderweg, man komme endlich mal zur Besinnung und man könne ewig lange einfach geradeaus gehen, immer weiter, nur dass vielleicht mal eine Straße kreuzt.
Henrik Hold kommt ursprünglich aus Süddeutschland, aus dem Mittelfränkischen. Sein Vater Kaufmann, ein Mann der Zahlen, der in einem der dort üblichen mittelständischen Unternehmen etwas Gewichtiges zu sagen hat und das stets tut. Ganz anders ist es an einem anderen Ort: „Die Schwester meiner Mutter war Bildhauerin, ihr Mann Bildhauer, mein Künstleronkel, die beiden waren für mich extrem wichtig“, sagt er. Sobald er einen Führerschein hatte, sei er dort immer hingefahren, über Land, in die alte, ehemalige Schule, die Atelier geworden war. Im Winter 2016 hat er dort ausgestellt, als Hommage an seine damaligen Unterstützer. Er sagt: „Dort war ein offeneres Klima, als ich es gewohnt war.“Auch wichtig: der Kunstlehrer, im Kunstleistungskurs, also ab Klasse 11: „Er hat mich einfach machen lassen, ich konnte zum ersten Mal selbstständig und frei arbeiten.“ Womit er sich beschäftigte: mit Druckgrafik, mit Radierungen. Hold sagt: „Ich war damals so gut wie verstummt.“ Also gut möglich bis wahrscheinlich, dass er ohne diese beiden künstlerisch besetzten Lebenspole irgendwann etwa die Schule geschmissen hätte. „Gar nicht, dass ich notenmäßig auf der Kippe stand, aber es hat mich dort alles so bedrängt und fertiggemacht“, sagt er. Er macht das Abitur. Und weiß, dass er Kunst studieren will.
Hold kommt nach Hamburg, absolviert seinen Zivildienst. „Ich bin dann hier hängengeblieben, weil ich an der HFBK angenommen wurde.“ 1993 fängt er an, 2001 verlässt er das Haus am Lerchenfeld wieder. Er bekommt eine Begabtenförderung, danach das Hamburger Arbeitsstipendium. „Direkt nach dem Studium konnte ich von meinen Arbeiten recht gut leben“, sagt er. Was nicht so bleibt. Was wieder so wird. Was sich erneut ändert. „Mal geht es recht gut, mal geht es auch nicht“, sagt er. Er dreht sich um, schaut auf seine Bilder, wechselt die Räume. Die Dielen knarren.
Man kennt möglicherweise und hoffentlich Henrik Holds erst zeichnerische, dann malerische Arbeiten, seine Serie „Clemens-Schultz-Straße 43/3. OG“, deren verschiedene Werkphasen sich von 2005 bis 2012 erstrecken. Berückende Bilder, Stillleben von der Form her, Blicke auf Küchenschränke, Esstische, schlichte Stühle, auf Küchenecken mit Öl- und Essigflaschen. Schließlich öffnet sich der Blick auf Fensterbretter, dann auf beschlagene Fenster, die sich später ein Stück weit öffnen und erlauben hinauszuschauen, auf einen Ast, auf Häuser gegenüber; getragen von einer so sicheren wie nebelhaften Malweise, wie aus einer vergangenen, verlorenen Zeit.
Menschenleer sind diese Bilder. Was nicht heißt, dass es keine Menschen darin gab und gibt. Sie sind nur kurz weg, sie sind schon länger unterwegs, sie kommen später wieder, das Bild ist längst gemalt, sie setzen sich hin, gießen sich Tee ein, schauen aus dem Fenster in die Dämmerung, in das ungewisse Licht. Hold sagt: „Ich suche Momente, sowohl motivisch wie auch beim Malen, wo alles stimmt, wo alles ganz still wird.“ Wo etwas passiere, dass sich jeder Arbeitsdisziplin und jeder Kontrolle entziehe. Und es sei ein gutes Zeichen, wenn er denke, dass er gescheitert sei: „Manchmal schaue ich auf ein Bild, denke ‚Oh, das ist super!‘, dann hatte ich es zu gut unter Kontrolle.“ Und umgekehrt: „Ich bin unzufrieden, schaue zwei Tage später und denke ‚Hey, da ist ja doch was dran!‘“ Er lacht und sagt: „Es ist ein sehr anstrengender Prozess.“
Was er nun in seiner aktuellen Ausstellung mit dem Titel „Matrix“ zeigt, könnte manchen Hold-Fan überraschen, auch irritieren und dann aufs Neue begeistern. Der Maler tritt vor ein Triptychon, entstanden aus einer Arbeit in der Boberger Niederung in Hamburgs Südosten, als er die Wohnung in der Clemens-Schultz-Straße 43 im dritten Stock auf St. Pauli nicht nur real, sondern mehr noch motivisch nach und nach verlässt. Hold geht mit seiner Arbeit auf die Straße vor dem Haus, geht bald weiter, bis in die Innenstadt und dann an den Stadtrand. „Diese Boberger Arbeit“, sagt er und beugt sich vor, bis seine Nasenspitze fast eine der Leinwände berührt, „hat nie so richtig funktioniert.“ Das Mittlere sei okay, das rechte und das linke aber nicht. Und also hat er jeweils die Leinwände in lange, dünne Streifen zerschnitten, hat sie wieder verflochten, eine Flechtarbeit auf Grundlage malerischer Kompositionen. „Mir gefällt, dass es nicht so super exakt ist, es gibt Löcher, ich habe auch mal einen Streifen weglassen, damit es besser wird“, sagt er.
Aber das ist noch nicht das Entscheidende. Entscheidend ist, dass er hernach den Lackstift aufgesetzt hat und die Bildoberfläche mit ihren zugrundeliegenden Bäumen, Büschen und dem Waldboden großflächig mit Ellipsen überzogen hat; hat so die malerisch interpretierte Landschaft systematisch ornamental überdeckt und doch nicht unkenntlich gemacht. In dieser Weise hat er auch weitere Arbeiten transformiert: seine Küchen- und Tischszenen, seine Blicke auf Fensterbretter und Stillleben von Teekanne und Teeschale. Und hat zuletzt auf das Zerschneiden und Neuflechten verzichten können, hat gleich eins ins andere gemalt.
So kommen in der Trittauer Werkschau zwei Stränge zusammen: sein Arbeiten und auch Abarbeiten am Thema der immer auch atmosphärisch aufgeladen Interieurs und seine intensive Auseinandersetzung mit dem dazu scheinbar neutralen Muster . Hold sagt: „Zum Gegenständlichen gibt es immer eine ungegenständliche Variante“; ihn interessiert das Verschmelzen von Abstraktion und Gegenständlichkeit.
Er schaut sich noch einmal um, atmet tief durch: „Ich möchte mit den Verschränkungen weitermachen, der Weg fühlt sich richtig an, da steckt noch viel drinnen, so dass ich noch ganz andere Experimente machen kann.“ Blickt auf seine Bilder, in denen man als Betrachter umgekehrt gefordert ist, seinem eigenen Verhältnis und Verständnis vom Konkreten und Abstrakten zu begegnen. Sehr schön gehängt ist die Ausstellung übrigens. Und Henrik Hold sagt: „Auch räumlich hat sich das hier sehr schön zusammengeruckelt.“
Die Ausstellung endet am 8.7. www.galerie-wassermuehle-trittau.de
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