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Andreas Rüttenauer Russia TodayRauchen trotz Verbot. Nicht nur zu WM-Zeiten herrschtMini-Anarchie

Menschen versammeln sich, ohne es vorher bei den Behörden angemeldet zu haben. Es wird in der Öffentlichkeit getrunken, an Orten geraucht, an denen es eigentlich verboten ist, es wird gesungen, geschrien, gegrölt zu Zeiten, in denen normalerweise ein strikter Lärmschutz durchgesetzt wird. In den WM-Orten geht es zu WM-Zeiten lockerer zu als sonst. Wenn in Sotschi in bester Sowjetdiktion über die Lautsprecher rund um das Stadion verkündet wird, dass die ganze Stadt sich zur rauchfreien Zone erklärt habe, hört niemand hin und niemand würde auf die Idee kommen, sein Zigarette auszudrücken. Und weil WM ist, werden die Polizeibeamten gewiss nicht eingreifen.

In den Stadien selbst wird das Rauchverbot schon durchgesetzt. Wer sich eine anzündet, muss damit rechnen, von einem Ordner angesprochen zu werden. Kein Wunder, die Fifa ist stolz auf ihr lungenfreundliches Turnier. „Willkommen zur rauchfreien Fifa-Fußballweltmeisterschaft“ ist auf Schildern zu lesen. Und doch gibt es diese schattigen Schmuddel­ecken in den Hochglanzarenen, in denen Müllcontainer stehen, leere Paletten oder abgerollte Kabeltrommeln herumliegen.

Hier versammeln sich die Raucher, um direkt unter einem Schild mit der durchgestrichen Zigarette schnell eine durchzuziehen. In diese Ecken kommen auch die Ordner, die sonst darauf achten, dass nur ja keiner raucht im Stadion, wenn sie selber eine Zigarette brauchen. Willkommen in der Raucherecke der rauchfreien Fifa-Fußballweltmeisterschaft.

In Russland kennt man diese Art von Mini-Anarchie auch im WM-freien Alltag. Riesige Sandstrände erstrecken sich an den Ufern der Wolga in Samara. Es sind offizielle Badestellen. Sie werden von Rettungsschwimmern überwacht. Schon früh am Morgen ist es schwer, einen Platz für sein Handtuch zu finden. Was nicht überwacht wird, ist das Rauch- und Alkoholverbot an den Stränden, auf das am Zugang zu den Badestellen auf Schildern hingewiesen wird. Wer nicht mit der Anderthalbliterflasche zum Badetag erscheint, hat zumindest eine Büchse Bier dabei. Zigaretten sowieso. Wenn alle, die rauchen oder Bier trinken, den Strand verlassen müssten, blieben wohl nur noch die Kinder am Wolgaufer übrig. Der Strand wäre zwar immer noch voll, aber einen Platz für sein Handtuch würde man doch leichter finden.

Auch in anderen Bereichen hält man sich nicht unbedingt an Regeln. „In Deutschland schnallen sich alle an, habe ich gehört“, sagt ein Taxifahrer und lacht. Eine Anschnallpflicht gilt auch in Russland. Die sei sicher sinnvoll, meint der Fahrer, aber er wolle sich vor seinen Kollegen nicht zum Gespött machen. Dann kachelt er mit 120 km/h mitten durch den Ort. Das ist sicher auch nicht erlaubt.

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