: In jedem Wasserloch schwimmen
Roger Deakin hatte als Naturschutzaktivist großen Einfluss in Großbritannien. Dort gilt er gar als einer, „der das Wetter ändert“
Von Ulrike Fokken
Seine Wurzeln hat Roger Deakin im New Forest, einem der Buchen- und Eichenwälder im Süden Englands. Zwischen Mooren und Bächen hatte sein schmetterlingsverrückter Lehrer dort ein Biologie-Camp im Wald für die Schüler eingerichtet. Deakin kam als Sechstklässler in den New Forest bei Beaulieu (Hampshire) und hatte das Glück, dass sein Lehrer seine Neugier nicht mit Antworten erstickte. „Das Beste war, dass wir alle Eigenheiten dieses Ortes selbst entdeckten“, schreibt Deakin in „Wilde Wälder“.
Deakin beobachtet, bäuchlings auf einem Holzsteg liegend, wie lange die Jagdspinne an einer Luftblase geklammert unter Wasser aushält (20 Minuten). Der erste Kuckuck seines Lebens inspiriert ihn im New Forest zu einem Gedicht. Er bestaunt die seltene Kreuzotter und Fliegen, die „in den Pranken von Science-Fiction-Sonnentau“ verschwinden. „Erst viel später begriff ich, dass wir in Beaulieu lernten, die Bezüge herzustellen, und auf diese Weise die enge Verwandtschaft von Ökologie und Dichtung erfassten.“
Roger Deakin: „Wilde Wälder“. Matthes & Seitz, Berlin 2018, 440 Seiten, 18 Euro
Wer so beginnt, verlässt die Natur nie wieder. Deakin wird Lehrer, später Naturschutzaktivist, Journalist und rüttelt seine Landsleute 1999 mit dem „Logbuch eines Schwimmers“ auf. Er hatte die skurrile Idee, in jedem Fluss, Tümpel, See und Wasserloch Großbritanniens zu schwimmen. Das Buch spült Deakin in die Bestsellerliste und macht jedem im Vereinigten Königreich klar, dass sie ein Umweltproblem in den Gewässern haben. Seine Radiosendung auf BBC und seine Texte machen ihn zu einem, „der das Wetter ändert“, wie der Guardian in seinem Nachruf auf Roger Deakin 2006 geschrieben hat. Er hat das Land verändert.
Britische AutorInnen und Verlage sind mutig und innovativ, wenn es um die Natur geht. Hierzulande kultiviert der Berliner Verlag Matthes & Seitz in seiner Reihe „Naturkunden“ das Nature Writing, das literarische Schreiben über Wollgras, Buche und Lederlaufkäfer. Es ist eine Freude, Deakins zweites Meisterwerk „Wildwood. A Journey Through Trees“ auf Deutsch zu lesen. Andreas Jandl und Frank Sievers haben die sinnliche, immer präzise Wortwahl Deakins hervorragend ins Deutsche übersetzt. Zwischen den Geschichten aus dem Wald faszinieren mattgrüne Fotos von Holzmaserungen und Jahresringen von Pflaume, Walnuss, Wacholder, Kiefer und all den anderen Bäumen, die auf den folgenden Seiten auftauchen wie bei einem Waldspaziergang.
Deakin durchstreift die Wälder in den Pyrenäen, bewundert Pferderennen und Olivenbäume auf Lesbos, strolcht durch die Waldkarpaten. In England besucht er den Landart-Künstler David Nash, Schriftsteller, die Landschaftsmalerin Mary Newcomb und seinen früheren Lehrer im New Forest, um festzustellen, dass die Jagdspinnen verschwunden sind.
Deakin ist aufmerksam, er entdeckt in den Blättern der Herbstbäume in den Pyrenäen „ein Spiegelbild der auf die Waldweiden getupften Albera“, einer wildlebenden Rinderrasse. Er erzählt vom Holz in all seinen Erscheinungen, als Vertäfelung, Tisch, Propellernabe und Bleistift, er besucht die Walnussfurnier-Schneider der Autofirma Jaguar und die Holzhausbauer in Suffolk. Zu allen Verwendungen und Holzarten fallen ihm botanische Besonderheiten und historische Geschichten ein, gespickt sind seine Reisen durch die Bäume mit literarischen Zitaten und Beobachtungen.
Deakin ist auf angenehme Weise klug und verliert niemals die Ehrfurcht vor dem Leben in all seinen Erscheinungen. Er rechnet aus, dass für sein Haus rund 300 Bäume gefällt wurden, „ein kleiner Wald“. Dabei liebte Deakin das Leben in Hütten. Denn: „Das Camp ist ehrlicher als ein Haus, weil es unserer Lage entspricht. Ein Haus steht für das, was wir auf der Welt gern wären: beständig, verwurzelt, ewig. Ein Camp aber zeigt, wie es ist: Wir sind nur Durchreisende.“
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