piwik no script img

berliner szenenWie Zombies im Sommer

Einer der Songs, die für immer auf meiner Lieblingsliederliste bleiben, ist „Time of the Season“. Ein Sommerhit, der Hitze und Erotik aufs Trefflichste miteinander verbindet. Lustigerweise stammt er von einer Formation, die sich The Zombies genannt hatte. Was machen Zombies im Sommer? Suchen sie den Schatten, sind sie eher lichtscheu oder stellen sie ihre versengte Haut aus? Sucht man dieser Tage die U-Bahn auf, muss man meinen: eher Letzteres.

Schon olfaktorisch ist so ein Abstieg anspruchsvoll. Es riecht nach Moder, nach Schimmel, nach trockenem und feuchtem Schweiß. In einem verwitterten U-Bahnhof, sagen wir Hallesches Tor, steht eine Menschenmenge mit Rollkoffern, die aussieht, als beabsichtige sie, Urlaub in Bochum zu machen. Bunte Kleidung, ermattete Körperhaltung. Andere sitzen trantütig in der abfahrbereiten Bahn, die sich im Pendelverkehrsmodus befindet (immer schöner Montagsschrecken: Wenn man nach längerer U-Bahn-Abstinenz feststellen muss, dass auf der Lieblingsstrecke ein Pendelverkehr eingerichtet worden ist). Sie tragen Kopfhörer und reden vor sich hin.

Am Bahnsteig eine auf ihre Verabredung Wartende, das Telefon prüfend in der Hand. In der Bahn Studentinnen, die sich To-do-Listen mit Kuli auf die Handoberseiten kritzeln. Ein Lausbub, dessen Mutter ihre Telefonnummer mit Edding auf seinen Oberarm geschrieben hat, unter dem Wort „Mama“. Viel blasse Haut. Weiße Haut. Nichtweiße Haut. Haut in diversen Schattierungen. Gewölbte, verbogene, gesprenkelte, rissige Haut. Weiche Haut. Rosige Haut. Haut, die fast durchsichtig scheint.

Menschen, die im Winter ein großes Geheimnis um ihre Körper machen, stellen sie nun umso offener aus. Oder, wie die Zombies singen: It’s the time/ of the season/ when love runs high.

René Hamann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen