Fernseher als Freund

Duc Ngo Ngoc ist in Berlin aufgewachsen als Kind vietnamesischer Vertragsarbeiter. Jetzt ist sein erster langer Dokumentarfilm „Farewell Halong“ zu sehen

Weder „Kartoffel“ noch „Banane“: Duc Ngo Ngoc Foto: Ksenia Less

Von Marina Mai

Duc Ngo Ngoc sieht sich als Botschafter zwischen den Kulturen. Der Filmregisseur wurde in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi geboren und reiste im Alter von fünf Jahren zu seinem Vater nach Berlin. Der war in der DDR Vertragsarbeiter. Ngo Ngocs Filme haben oft vietnamesische Themen, so auch sein erster langer Dokumentarfilm „Farewell Halong“. Er erzählt von der größten Umsiedlung in der neuen vietnamesischen Geschichte: Menschen, die über Generationen im Weltnaturerbe Halongbucht auf schwimmenden Dörfern gelebt haben, sollten auf staatliches Geheiß aufs Festland ziehen.

Sie freuten sich auf ihre Häuser, freuten sich, elektrischen Strom zu haben. Doch was machen Menschen, die ihr Leben lang vom Fischfang und dem Verkauf von gekühlten Getränken und Obst an Touristen gelebt hatten, an Land, nachdem sie die neuen Möglichkeiten dort getestet haben? Die einstigen fliegenden Händler vermissten den Zusammenhalt in der alten Dorfgemeinschaft. Die erwerbstätige Generation kehrte aufs Meer zurück. Nur die Kinder und die Veteranen blieben in ihren festen Häusern.

Das erzählt der 90-minütige Dokumentarfilm in leisen Tönen. Duc Ngo Ngoc hat insgesamt sechs Monate lang zusammen mit „seiner“ Familie auf dem und am Meer gelebt, gegessen, getrunken und den Naturgewalten in der Halongbucht getrotzt. Der Film besticht durch die Nähe zu den Protagonisten, die wunderschönen Landschaftsbilder und durch die Musik von Martin Kohlstedt, einem Freund des Regisseurs aus der Zeit seines Bachelor-Studiums in Weimar.

Ein gut Teil der Zuschauer in den Programmkinos sind junge Deutschvietnamesen. Dazu kommen Vietnam-Touristen, die die Landschaftsbilder von der Touristenhochburg sehen wollen.

In Filmdiskussionen besticht Duc Ngo Ngoc durch seine ruhige, bescheidene Art. Der 29-Jährige ist in einfachen Verhältnissen in Prenzlauer Berg aufgewachsen. Seine Eltern betreiben dort einen Obst- und Gemüseladen, in dem sein Kurzfilm „Obst und Gemüse“ gedreht wurde. Darin erzählt er auf humorvolle Weise von dem Verhältnis des vietnamesischen Ladeninhabers zu einem deutschen Mitarbeiter, einem Ureinwohner von Prenzlauer Berg.

Den Weg vom Vertragsarbeiterkind zum Filmemacher beschreibt Ngo Ngoc als nicht zufällig. „Als ich mit fünf Jahren nach Deutschland kam, fand meine Sozialisation im Kindergarten statt und mit bewegten Bildern“, sagt er. „In Deutschland wurde der Fernseher mein bester Freund. Ich hatte sonst ja niemanden.“ Vor dem Fernseher lernte er Deutsch. Dort wurde sein Interesse am Film geweckt.

Wie viele Deutschvietnamesen der zweiten Generation erlebte Duc Ngo Ngoc als Kind den Druck seiner Eltern, erfolgreich zu sein: Gute Zensuren in der Schule waren Pflicht, damit er ein Studium aufnehmen konnte, das beruflichen Erfolg versprach. Er begann erwartungsgemäß ein Ingenieurstudium, brach es aber nach kurzer Zeit ab. Er wollte zum Film. „Damals konnten sich meine Eltern so etwas nicht vorstellen. Heute verstehen sie mich und sind sogar stolz auf mich“, sagt er. Obwohl er mit dem Motorroller durch Prenzlauer Berg fährt, was nicht gerade den Prestigewünschen der Eltern entspricht.

Duc Ngo Ngoc ist ein Aushängeschild der Filmuniversität Babelsberg, an der er noch studiert

Aber seine Filme erzählen Geschichten, die seinen Eltern nahe sind. „Ich bin ein Deutschvietnamese, keine Kartoffel oder Banane“, sagt er. „Kartoffel“ ist unter Vietnamesen eine abfällige Bezeichnung für Deutsche. „Banane“ nennt man Deutschvietnamesen, die ihrer Herkunftskultur ablehnend gegenüberstehen: Die seien wie eine Banane außen gelb und innen weiß.

Duc Ngo Ngoc ist ein Aushängeschild der Filmuniversität Babelsberg, an der er sein Masterstudium noch absolviert. Seine Filme erhalten Preise auf internationalen Festivals. Das ist nicht selbstverständlich. Im August sollte er eigentlich auf einem Festival in Vietnam zu sehen sein, doch laut einem Bericht der vietnamesischen Zeitung Tuoi Tre gestern wurde er als „nicht geeignet für das Publikum“ abgesetzt. In Vietnam bedürfen Filme einer staatlichen Genehmigung. Ob er nächste Woche wie geplant am Goethe-Institut in Ho-Chi-Minh-Stadt laufen darf, ist offen. In diesem Jahr wurde in Vietnam bereits der deutsche Film „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ nicht zugelassen.

Seine Filme „Obst und Gemüse“ und „Farewell Halong“ sind Duc Ngo Ngoc „Herzens­projekte“, wie er sagt. Geld verdient er damit nicht. Zum Überleben muss er nebenher Werbeclips drehen. „Ich wünsche mir natürlich, beides zusammen zu bringen. Meine Herzensprojekte und das Geldverdienen.“ Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Als nächstes steht erst einmal sein studentischer Abschlussfilm an. Der erzählt von Konflikten im vietnamesisch-chinesischen Grenzland.

„Farewell Halong“, 8. 7., 19 Uhr, Central; 14. 7., 20 Uhr, Moviemento; 21. 7., 20.30 Uhr, Lichtblick-Kino; 5. 8., 20 Uhr, Central