: „Europa war erfolgreich nur durch Interaktion“
Das DHM zeigt eine Ausstellung über „Europa und das Meer“. Was eigentlich allergemütlichstes Sommerprogramm sein könnte, ist plötzlich überraschend brisant
Von Alexander Diehl
Man könnte es ja für einen rasch zu lutschenden Drops halten: Europa und das Meer? Na klar gehört das zusammen. „Gemessen an der Küstenlänge und Gesamtgröße hat keiner der fünf Erdteile mehr Berührungspunkte mit dem Meer“: So schickt es jetzt das Deutsche Historische Museum (DHM) einer kommenden Ausstellung voraus – Titel: „Europa und das Meer“.
Zugeordnet jeweils einer exemplarischen Hafenstadt will sie 13 Aspekte des vermeintlich so selbsterklärenden Verhältnisses ausleuchten: die Bedeutung des Meeres als Handels- und Herrschaftsraum etwa, seine Funktion mal als Verbindendes, dann wieder als Trennendes, schließlich auch Facetten wie die Meeresnutzung und -ausbeutung – und was beides etwa mit dem Weltklima zu tun hat.
Im Guten wie Schlechten: „Über das Meer veränderten die Europäer die Welt. Diese wiederum veränderte daraufhin – ebenso über das Meer – die Europäer.“ Das schreibt der Historiker Jürgen Elvert, inhaltlich wesentlich verantwortlich für die jetzt eröffnende Schau, in seinem jüngst erschienenen Buch „Europa, das Meer und die Welt. Eine maritime Geschichte der Neuzeit“ (DVA 2018). Elvert lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Köln, wichtiger aber dürfte in diesem Zusammenhang der Jean-Monnet-Lehrstuhl sein, den er seit 2013 innehat: Mit derzeit rund 150 solcher Titel weltweit würdigt die Europäische Kommission besondere akademische Verdienste zur europäischen Integration.
Buch wie Ausstellung nun wurden möglich durch dieses EU-Programm – und die damit einhergehende finanziellen Förderung. Das Thema aber mit einer möglichst breiten Perspektive anzugehen, das ganze Europa im Blick zu haben und die Interaktion zwischen seinen Staaten, aber auch sonstigen Akteuren, das ist ausdrücklich Elverts Ansatz.
Die Eroberung der Meere und also der gesamten Welt, das Erschließen von Handelsrouten und, ja: irgendwann auch die Inbesitznahme all der angeblich darauf wartenden Gegenden, einmal zwecks unverblümter Ausbeutung, mal scheinbar rationalisiert etwa als christlicher Missionsauftrag: alles nur möglichst ganzheitlich betrachtet zu verstehen, sagt Elvert. „Portugal hätte sich niemals so im Indischen Ozean betätigen können, wenn es nicht die Finanzierung durch die Fugger und andere deutsche Kaufleute gegeben hätte.“
Im Gespräch mit der taz erzählt er eine bezeichnende Anekdote: Er habe vor Jahren eine Ausstellung im National Maritime Museum im englischen Greenwich besucht, „da ging es um die Geschichte der British East India Company. Diese hätte es aber so niemals gegeben, sie wäre nie so erfolgreich gewesen ohne den großen Konkurrenten VOC, die Niederländische Ostindien-Kompanie. Diese Querverbindung jedoch wurde nur in einer versteckten, schattigen Ecke gegeben“, so Elvert, „durch einen dezenten Hinweis auf den vorzugsweise von der VOC genutzten Schiffstyp, die Fluyte.“
Das aber ärgerte den Historiker richtiggehend: „So darf man Geschichte nicht vermitteln! Damit wird ein völlig verzerrtes, einseitiges Bild erzeugt. Die einzelnen Nationen in Europa waren wichtige Akteure, sicher, aber sie hätten nie so handeln können, wie sie es taten, wenn es nicht die gesamteuropäische Interaktion gegeben hätte, die Kommunikation, den Wettbewerb, den Streit.“
Es waren also nicht nur grenzüberschreitende Joint Ventures, die hier mitwirkten, es war genauso die Weitergabe von Wissen, wie im Schiffbau. Obwohl solcher Austausch vereinzelt sogar mit dem Tode bestraft wurde, wussten im späten 15. Jahrhundert auch alle konkurrierenden Seefahrernationen um die Geheimnisse der portugiesischen Karavellen, die eine entscheidende Rolle für die Schifffahrt entlang der westafrikanischen Küste und nach Amerika spielten; auch Christoph Kolumbus fuhr auf einer solchen Richtung Indien: ein Genueser im Auftrag der kastilischen Krone.
Eine Geschichtsschreibung, die nicht einfach nationale Erzählungen isoliert voneinander behandelt – wenn sie denn überhaupt mehr als eine berücksichtigt: Sich dazu zu bekennen ist heutzutage offenbar wieder brisant. „Ich beschäftige mich seit 25 Jahren mit der europäischen Geschichte und beobachte mit Erschrecken, wie Europa an den Rändern zerfranst“, sagt Elvert. „Gegen solche Entwicklungen müssen auch wir Wissenschaftler kämpfen.“
Das könnten er und seine Kolleginnen und Kollegen nur mit ihren spezifischen Mitteln. „Dazu gehört auch zu zeigen, dass im Nationalstaat und im nationalen Handeln eben nicht das Heil der Welt liegt, sondern dass die jahrhundertelange europäische Erfolgsgeschichte erst durch die Interaktion mit Außereuropa, mit dem ‚Anderen‘, durch die Öffnung nach außen ermöglicht wurde“, so Elvert. „Wer Mauern baute oder sich dahinter verschanzte, wurde vom Fortschritt abgekoppelt.“
Wo aber manifestiert sich das Geöffnetsein, Austausch und Konfrontation besser als in der Hafenstadt, die für die Ausstellung so eine wichtige Größe bedeutet? „Die Zivilisationen haben sich gebildet, als die Menschen von den Bergen stiegen und an die Küsten kamen, um sich dort niederzulassen“, sagt der Historiker, dessen eigene Wiege auch nah am Meer stand, im schleswig-holsteinischen Eckernförde: „Dafür gibt es viele Beispiele, schon aus der klassisch griechischen Antike. Die Poleis sind alle am Meer gegründet worden, darin liegt der Grund für ihre Erfolgsgeschichte.“
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