: Spülmaschinentaugliche Sextoys
Aschenbecher, Zigarrenetuis, Kämme oder auch Nussknacker, verziert mit weiblichen Körperteilen. Die Ausstellung „Erotik der Dinge. Sammlungen zur Geschichte der Sexualität“ im Museum der Dinge
Von Annika Glunz
Eine Tasse in Busenform, ein weiblicher Unterkörper als Aschenbecher, eine Flöte in der Form eines Penis: Sind diese Dinge erotisch? Oder sind es nicht vielmehr solche Gegenstände, deren Form und Materialbeschaffenheit auf subtile Art und Weise die Fantasie anregen, wie beispielsweise die gute alte Aubergine?
Was ist es also, was Dingen erotischen Charakter geben kann? Dieser Frage geht die aktuell laufende Sonderausstellung „Die Erotik der Dinge“ im Museum der Dinge/Werkbundarchiv nach. Zum Einstieg in das Thema geht es weit in die Geschichte zurück: Im Jahre 1430 schuf der Bildhauer Donatello eine Skulptur Davids und mit ihr den ersten bekannten lebensgroßen männlichen Akt seit der Antike. Mittlerweile gibt es ihn – wie auch viele andere „Ikonen des Erotischen“ – als Replik für das eigene Wohnzimmer.
Zwischen den Regalreihen des Archivs des Deutschen Werkbundes steigt plötzlich Rauch auf, und etwas gibt Geräusche von sich: Es ist das „sensing materials lab“, ein Gemeinschaftsprojekt der Kunsthochschule Weißensee und der Stiftung Bauhaus Dessau. Besucher*innen sind hier selbst gefordert: Handschuhe an, und los geht’s auf dem Tast- und Fühlparcours. Was genau dort mit den Händen geknetet, gestreichelt und erspürt wird, offenbart sich absichtlich nicht: Das interaktive Labor beschäftigt sich mit Fragen zur Erotik in Materialien, deren sinnliche Ebene in Zeiten der Technologisierung zunehmend an Bedeutung verliert.
Am Ende des Werkbundarchivs befindet sich der Ausgangspunkt der Sonderausstellung, die Sammlungen der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld und Alfred C. Kinsey sowie der Kunstsammlerin Naomi Wilzig. Hirschfeld (1868–1935), über den Jan Feddersen am 12./13. Mai aus Anlass seines 150. Geburtstagsjubiläums bereits ausführlich in dieser Zeitung berichtete, ist vor allem für das Institut für Sexualwissenschaft sowie für die Theorie der „sexuellen Zwischenstufen“, mit der er einen Grundstein für die heutige „Queer Theory“ legte, bekannt. Die „Zwischenstufen“ sollten aufzeigen, dass es zwischen „Vollmann“ und „Vollweib“ eine unendliche Anzahl von Abstufungen und Mischungen gab.
Kinseys (1894–1965) aus den umfangreichen Erhebungen über das menschliche Sexualverhalten bestehender „Kinsey-Report“ galt als ein Auslöser der sexuellen Revolution. Er wollte mithilfe eines komplexen Klassifikationssystems erotische/pornografische Dinge in rechtschaffene, wissenschaftliche Objekte verwandeln. Wilzig (1934–2015) sammelte themenbezogen – als Beitrag zur sexuellen Liberalisierung in den USA.
Die ausgestellten Gegenstände sind nach verschiedenen Schwerpunkten angeordnet: Fetischobjekte, Lehrmittel, Werkzeuge, Körperformen und -teile, Liebesmittel. Besucher*innen erfahren, dass Schlauchschelle und -nippel sowie Fischschupper durchaus erotisierende Wirkung haben können. Taschenuhren, Gürtelschnallen und Tabakdosen aus dem 19. Jahrhundert zeigen auf, dass Erotik auch als Folge des Verbots einer expliziten Darstellung von Sexualität entstehen kann: Darstellungen nackter Körper und/oder sexueller Handlungen finden sich hier versteckt.
Deutlich sichtbar wird auch, dass erotische Alltagsgegenstände offensichtlich für den Blick des bürgerlichen heterosexuellen Mannes geschaffen wurden: Auf Aschenbechern, Zigarrenetuis, Kämmen oder auch Nussknackern dominierten weibliche Körperteile. Patriarchale Geschlechterverhältnisse wurden auch dadurch widergespiegelt, dass die Gegenstände allesamt eine Benutzbarkeit versinnbildlichten, die vorwiegend dem weiblichen Körper zugeschrieben wurde und wird.
Die Abteilung zu „Liebesmitteln“, wie Hirschfeld sie nannte, zeigt Sexspielzeuge aller Art. Hier hat sich der Markt rasant geändert – nicht nur hinsichtlich technischer Innovationen, sondern auch im Hinblick auf Akzeptanz, Zugänglichkeit und Vielfalt. Im Hier und Jetzt angekommen, zeigt die Ausstellung also die enge Verzahnung gesellschaftlicher Tendenzen mit ihrer Entsprechung im Gegenständlichen und in deren industrieller Produktion. Sie stimmt aber auch zuversichtlich: Das Ziel Hirschfelds, Kinseys und Wilzigs, durch ihre Arbeit zur Enttabuisierung und Liberalisierung sexueller Praktiken und Moralvorstellungen beizutragen, scheint – wenn auch Jahrzehnte später – in greifbarere Nähe gerückt.
Bis 27. August, Museum der Dinge, Oranienstraße 25
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen