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heute in hamburg„Sind Politiker überhaupt legitimiert?“

Foto: privat

Friedo Karth, 28, Politologe, ist Bildungsreferent des Vereins „Die Neue Gesellschaft“.

Interview Petra Schellen

taz: Herr Karth, bei der Bundestagswahl 2017 gab es 17 Millionen Nichtwähler – so viele Stimmen hat keine der Parteien bekommen. Ist das Ergebnis so noch demokratisch?

Friedo Karth: Grundsätzlich ja, denn wir haben hierzulande keine Wahlpflicht. Andererseits sollte die Politik das repräsentieren, was die Bevölkerung möchte. Wenn aber sehr viele nicht wählen, ist das ein Problem, weil die Politik dann keinen vernünftigen Handlungsauftrag hat. Da kann man schon fragen: Sind die Politiker überhaupt legitimiert?

Sind sie es?

Einerseits ja, weil sie auf Basis des Grundgesetzes handeln. Andererseits sollten sich die Politiker fragen: Tun wir genug dafür, dass Menschen wählen?

Reflektiert die Politik das intensiv genug?

Nein. Das sieht man schon daran, dass die Parteien mit Prozenten argumentieren statt mit absoluten Zahlen. Aber wenn nur 60 Prozent der Leute wählen und man davon 30 Prozent haben möchte, ist das nicht viel – und auch nicht repräsentativ. Genau deshalb ist es wichtig, dass Politiker sagen: Wir sind daran interessiert, dass mehr Menschen wählen gehen.

Will die Politik das wirklich?

Man kann es bezweifeln. Denn bei einer geringeren Wahlbeteiligung müssen Parteien weniger tun, um Wähler zu erreichen und zum Beispiel weniger Ressourcen aufbringen.

Wer keine Partei schätzt, aber trotzdem wählen will, muss seinen Stimmzettel ungültig machen, denn enthalten kann man sich nicht.

Wenn man sich andere Modelle überlegen will, braucht man eine Enthaltungs-Option. Aber auch das würde die Wahlbeteiligung nicht deutlich erhöhen. Denn Untersuchungen zeigen, dass vor allem Menschen, die sozial benachteiligt sind, nicht wählen.

„Muss ich wählen gehen?“: ein Streitgespräch der „Neuen Gesellschaft“ über Wahlrecht vs. Wahlpflicht: 19.30 Uhr, Zentralbibliothek, Hühnerposten 1

Wäre eine Wahlpflicht die Lösung?

Erfahrungen in andern Ländern zeigen, dass eine Wahlpflicht die Beteiligung enorm erhöht – selbst wenn es keine oder kaum Sanktionen gibt. Außerdem würde eine Wahlpflicht dazu führen, dass Politiker aller Parteien Kontakt zu Nichtwählern suchen und sich um deren Belange kümmern.

Wie die AfD, die viele Nichtwähler motiviert.

Die AfD hat es sehr geschickt verstanden, Bevölkerungsschichten anzusprechen, die frustriert waren. Die Frage ist, ob die AfD so stark wäre, wenn sich die anderen Parteien schon vorher um die Belange dieser Menschen gekümmert hätten.

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