die woche in berlin
: die woche in berlin

Die Kippa, die Anlass zu einem antisemitischen Angriff in Prenzlauer Berg wurde, ist nun im Jüdischen Museum zu sehen. Es gibt nur einen Punkt, der die „Skandale“ im Bundesamt für Asyl und der Berliner Ausländerbehörde verbindet: das Fehlen legaler Einwanderungswege. Florian Graf gibt überraschend den Vorsitz der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus ab. Und am Checkpoint Charlie verschwindet mal wieder eine Freifläche in der Stadt

Ein Denk-anstoß

Kippa vom Helmholtz-platz jetzt im Museum

Hä?“ Bei nicht wenigen dürfte das die Reaktion auf die Nachricht gewesen sein, dass die Kippa des jungen Israeli, der im April am Helmholtzplatz angegriffen wurde, jetzt in einer Vitrine des Jüdischen Museums ausgestellt ist. Hat denn die Kopfbedeckung – ein rundes Stück Jeansstoff mit den in Pink aufgestickten Umrissen eines Rabbikopfs im Breaking-Bad-Style – tatsächlich historischen Wert?

Der skeptische Reflex auf das, was die MuseumsmacherInnen „Rapid Response“, also etwa „Schnelles Eingreifen“ nennen, hat seine Berechtigung. Immerhin geht es um eine antisemitische Attacke, um eine Straftat, derentwegen gerade erst Anklage erhoben wurde. Dass der Prozess Überraschendes an den Tag bringt, darf bezweifelt werden, aber kann man es ausschließen? Immerhin war auch in der Berichterstattung über den Fall einiges unausgegoren: Erst war der Angegriffene religiöser Jude, dann jüdischer Atheist, dann israelischer Araber. Das Nichteingreifen der allermeisten Anwesenden wurde schnell moralisch kritisiert – aber ob es die angebliche Menschenmenge wirklich gab und, wenn ja, ob sie überhaupt mitbekam, was vor sich ging, weiß im Grunde bis heute niemand.

Wie auch immer. Die Präsentation im Museumsfoyer, zu der neben der „Kippa des Anstoßes“ auch die taz-Titelseite mit DIY-Kippa und ein Plakat von der „Berlin trägt Kippa“-Demo gehören, tut auch nicht so, als wären diese Fragen schon beantwortet. Sie wirft eher die allgemeine Frage nach dem Warum auf. Auf das von dem Opfer gedrehte Handyvideo, das zeigt, wie der Angreifer, ein offenbar antisemitisch verhetzter Palästinenser, mit dem Gürtel zuschlägt, wird verzichtet. Zu Recht – denn um die konkrete Person geht es ja nicht so sehr, sondern um den Hass auf Juden, der sich bekanntlich tagtäglich an vielen Orten und auf viele Weisen fortpflanzt.

Das eingangs zitierte „Hä?“ hat im Übrigen auch damit zu tun, dass viele bei „Museum“ immer noch an eine Institution denken, die mit emphatischer Geste bestimmten Objekten Ewigkeitswert zuschreibt. Auf diese Rolle sind Museen aber längst nicht mehr festgelegt – die Programmleiterin des Jüdischen Museums nennt sie „diskursive Räume“.

Ein Blick in die Notizbücher, die neben der Kippa-Vitrine zum Beantworten der Frage „Was kann ich gegen Intoleranz tun?“ einladen, zeigt, dass der Diskurs noch entwickelbar ist: Neben „Teilnahme an der nächsten Demo gegen die AfD“ steht da „Stop taking money from companies aiding apartheid. Free Palestine“, ein paar Seiten weiter hat jemand einen Penis gezeichnet. Das sind nicht alles hilfreiche Ideen, aber allein das Drübernachdenken bringt die Leute ja meist schon ein klitzekleines Stück weiter. Claudius Prößer

Weil’s
legal
kaum geht …

Ausländerbehörde wie BAMF unter Verdacht

Die Ausländerbehörde ist für alle, die in welcher Funktion auch immer je mit ihr zu tun hatten, eine Ausgeburt herzloser deutscher Bürokratie. Aber anscheinend ist sie einigen noch nicht starr, unfreundlich und abweisend genug.

Alles in einen Topf werfend, wird seit dieser Woche der Rummel um fragwürdige Asylbescheide des BAMF in Bremen (einer Bundesbehörde) benutzt, um in dessen Windschatten die Berliner Ausländerbehörde der Schlampigkeit zu bezichtigen.

Sie sei dem Verdacht nicht energisch genug nachgegangen, dass eine Schleusergruppe „massenhaft“ Scheinehen zwischen Nigerianern und portugiesischen Staatsbürgerinnen eingefädelt habe, kolportiert ein Bericht des RBB.

Inzwischen musste Innensenator Andreas Geisel (SPD) selber sehr deutlich machen, dass die Behörde ganz im Gegenteil absolut korrekt gehandelt habe. Schließlich liege der Fall ja nun auch einige Zeit zurück, die mutmaßlichen Schleuser stehen derzeit vor Gericht, schon 2015 seien Verfahren in der Ausländerbehörde geändert worden.

Und man glaubt Geisel sofort, denn irgendeine Laxheit bei auch nur leisesten Verdachtsmomenten kann der Behörde nach aller Erfahrung kaum unterstellt werden. Genau das ist vielleicht das Grundproblem an der ganzen Sache.

Eine Gesetzeslage, die legale Einwanderung faktisch unmöglich macht, eröffnet vielfältige Geschäftsmodelle für Schleuser. Bundes- und Landesbehörden verfolgen dann nur allzu gerne jeden Regelbruch mit aller gebotenen Härte.

So können sie doch den ihnen viel zu oft tief eingeschriebenen institutionellen Rassismus unter Verweis auf die Gesetzeslage ganz entspannt ausleben. Medienberichterstattung unterfüttert und verstärkt dann das Bild betrügerischer Banden von „Ausländern“ – willkommen in der Populismushölle.

Daniél Kretschmar

Das Ende der Brachen

Der Checkpoint Charlie
wird nun bebaut

Natürlich ist die Bürgerbeteiligung am Checkpoint Charlie ein Witz. Wenn der Senat sich mit einem Investor schon seit Langem einig ist, müssen die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr gefragt werden. Denn ihr Votum zählt dann eh nicht, auch wenn mehr Bürgerbeteiligung im Koalitionsvertrag steht.

Doch die eigentliche schlechte Nachricht ist eine andere. Jahrzehntelang wurden die letzten freien Grundstücke am Checkpoint immer und immer teurer weiterverkauft. Für jeden Investor stellte sich die Frage: bauen – oder hoffen, das Grundstück noch teurer verscherbeln zu können?

Wenn die Investmentgesellschaft Trockland nun die Betonmischer an den Checkpoint holt, heißt das auch: Projekte wie ein Hardrock-Hotel lassen sich trotz der hohen Bodenpreise gewinnbringend realisieren.

Damit dürfte die Stunde der letzten Brachen, die nicht als Grünflächen gesichert sind, geschlagen haben.

Denn so grotesk es auch klingen mag: Die Spekulation mit Grund und Boden hat Brachen und Zwischennutzungen erst möglich gemacht. Wenn sich nun das Bauen lohnt, könnte der Checkpoint Charlie auch an anderen Orten Berlins Schule machen.

Dennoch bleibt der Checkpoint in gewisser Hinsicht ein Sonderfall. Die Grundstücke am ehemaligen Grenzübergang wurden schon früh verkauft. Die Baugenehmigung stammt aus einer Zeit, in der der Senat noch keinen Wert darauf legte, vom Investor einen bestimmten Anteil bezahlbarer Wohnungen zu fordern.

Und noch etwas: Wenn die beiden Brachen rechts und links bebaut sind, werden noch mehr Touristen fragen, wo denn hier die Mauer war. Jetzt zumindest kann man ihnen immer noch erklären, was für ein Eingriff in die Stadt es war, dort einen so gigantischen Grenzübergang zu bauen.

Nichts zu entscheiden, aber dennoch gefragt werden – und hinterher Feigenblatt für lauter schlechte Nachrichten sein. Das hätte man sich sparen können. Uwe Rada

Opposition sucht neue Führung

CDU-Fraktionschef Florian Graf tritt zurück

Bis Donnerstagabend war Florian Graf der mächtigste Mann der Berliner CDU: Als Chef der größten Oppositionsfraktion im Abgeordnetenhaus liegt es vor allem an ihm, die rot-rot-grüne Koalition zu kritisieren, anzugreifen, Alternativen aufzuzeigen – ohne wirklich selbst welche haben zu müssen, denn die werden sowieso nicht umgesetzt. Mit Monika Grütters besitzt die Berliner Union überdies eine Parteivorsitzende, die bisher wenig auf landespolitischem Parkett unterwegs war. Freie Bahn also – sollte man meinen.

Doch Graf will nicht mehr angreifen, zumindest nicht aus der ersten Reihe heraus: Er werde sein Amt in zwei Wochen abgeben, hat der 44-Jährige am Donnerstag angekündigt. Stattdessen soll er Mitte Juni Geschäftsführer beim CDU-Wirtschaftsrat werden, einem parteinahen Unternehmensverband. Von diesem Schritt informiert waren in der CDU nur engste Vertraute.

Graf war einer der Garanten der SPD-CDU-Regierung von 2011 bis 2016. Seine enge Zusammenarbeit mit SPD-Frak­tions­chef Raed Saleh bildete die Grundlage dafür, dass diese letztlich weitgehend erfolglose Koalition nicht vorzeitig an internen Streitigkeiten zerbrach. In der Opposition gelang es Graf indes nicht, Akzente zu setzen; die Kritik an seiner Arbeit in den eigenen Reihen war zuletzt lauter geworden.

Dennoch kommt der Schritt überraschend. Deshalb werden gleich drei Männern Chancen als Nachfolger eingeräumt: Mario Czaja, der als Sozialsenator unter Rot-Schwarz auf ganzer Linie versagt hat, könnte in dieser Position ein politisches Comeback gelingen. Stefan Evers wurde von Parteichefin Grütters bereits als Generalsekretär installiert; würde er auch Fraktionschef, wäre das gleichzeitig eine Stärkung von Grütters’ Position. Auch der Name von Innenexperte Burkard Dregger fällt: Der Wertkonservative mit dem militärischen Auftreten dürfte die Fraktion weg aus der Mitte Richtung Law and Order rücken und inhaltlich damit in Richtung AfD.

Neben viel Windmachen muss der neue Fraktionschef vor allem das Verhältnis der CDU zu den Rechtsaußen klären, die ihr bei der Wahl 2016 viele Stimmen geraubt haben. Anbiedern oder abgrenzen ist hier die Frage. Letztlich hat die CDU derzeit aber nur eine Machtoption: mit der SPD. Immerhin: Laut Umfragen ist sie derzeit stärkste Partei in Berlin. Bert Schulz

Die
Ausländer-
behörde
ist für alle,
die je mit ihr
zu tun hatten,
eine Ausgeburt herzloser deutscher Bürokratie

Daniél Kretschmarzu den Vorwürfen gegen die Berliner Ausländerbehörde, sie habe Scheinehen ignoriert