„Jede Lücke wird genutzt“

Der grüne Landtagsabgeordnete Detlev Schulz-Hendel will die Rüstungsexporte niedersächsischer Unternehmen stoppen. Dafür brauche es ein Rüstungskontrollgesetz

Kriegspartei: türkische Panzer auf dem Weg in den syrischen Kanton Afrin Foto: dpa

Interview Gernot Knödler

taz: Herr Schulz-Hendel, Sie fordern, niedersächsische Unternehmen sollten sich nicht an Waffenexporten in Krisen- und Konfliktregionen beteiligen. Das ist doch ohnehin schon verboten.

Detlev Schulz-Hendel: Natürlich gibt es die politischen Grundsätze der Bundesregierung, dass es so sein soll, aber wenn Sie sich nur mal den Global Player Rheinmetall ansehen, dann können diese Grundsätze mit gewissen zweifelhaften Geschäftspraktiken relativ einfach umgangen werden.

Wo hapert es an der aktuellen Rechtslage?

Es hapert zum einen daran, dass wir kein Rüstungsexportkontrollgesetz haben, und zum anderen an den Zuständigkeiten, die beim Bund liegen. Das Wirtschaftsministerium und der Bundessicherheitsrat genehmigen auf intransparente Weise Rüstungsexporte. Eigentlich müsste jedoch beides – also die Genehmigung und die Kon­trolle von Rüstungsexporten – im Aufgabenbereich des Außenministeriums liegen.

Was würde ein Gesetz daran ändern?

Wenn es ein nachhaltiges Gesetz wäre, würde es zumindest dafür sorgen, dass die Exporte transparenter würden. Am Beispiel Rheinmetall: Es darf nicht passieren, dass über eine Tochtergesellschaft auf Sardinien Bomben nach Saudi Arabien geliefert und im Krieg im Jemen abgeworfen werden.

Aber das ist ja genau so bekannt geworden.

Ja, aber erst nach aufwendigen Recherchen.

Für die Transparenz müsste der jährliche Rüstungsexportbericht der Bundesregierung sorgen.

Das tut er ja anscheinend nicht, wie man es an solchen Beispielen erkennt.

Sie fordern, das Durchreichen deutscher Rüstungsexporte von den Empfängern an Dritte solle unterbunden werden. Auch das steht bereits in der Richtlinie. Wie wollen Sie es durchsetzen?

Wir wollen, dass der Bundestag erfährt, wohin Rüstungsexporte genehmigt und Waffen geliefert werden und wie die Exporterlaubnis begründet wird. Im Moment wird jede Lücke genutzt und dabei auch tief in die Trickkiste gegriffen. Kaum jemand wird zur Rechenschaft gezogen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Dazu gehört für mich, dass Rheinmetall in Unterlüß Joint-Venture-Projekte in der Türkei mit türkischen Rüstungsunternehmen betreibt oder betreiben will – eines gehört dem Cousin des türkischen Präsidenten Recp Tayyip Erdoğan.

Die Türkei ist als Nato-Partner von Beschränkungen ausgenommen.

Aber die Türkei ist im Moment auch ein Kriegs- und Krisengebiet. Zumindest führt die Türkei einen Angriffskrieg.

Die Bundesregierung gerät jedoch in ein Dilemma, wenn sie einem Nato-Partner diese Lieferungen verweigern soll.

Das ist überhaupt kein Dilemma. Wenn ein Nato-Partner Menschenrechte verletzt und Angriffskriege führt, dann darf auch der Nato-Partner keine Rüstungsgüter aus Deutschland bekommen.

Ließe sich eine deutsche Rüstungsindustrie überhaupt erhalten, wenn der Export stark beschränkt würde?

:

Detlev Schulz-Hendel, 56, Sprecher für Wirtschaft und Verkehr der Grünen hat im niedersächsischen Landtag den Antrag „Keine Beteiligung niedersächsischer Unternehmen an Waffenexporten in Krisen- und Konfliktregionen“ eingebracht.

Es wird immer argumentiert: Das sind Wirtschaftsunternehmen, an denen viele Arbeitsplätze hängen. Aber man kann vielleicht auch solche Unternehmen zum Umdenken bewegen, sodass sie nicht weniger Geld in Rüstungsexporte stecken sondern mehr in Zukunftstechnologien.

Es eine Grundsatzfrage, ob Deutschland eine Rüstungsindustrie behalten soll.

In dem Fall, dass sie in Kriegs- und Krisengebiete liefert, möchte ich sie nicht behalten. Wir diskutieren in Deutschland viel über Geflüchtete, den Familiennachzug, Obergrenzen – und auf der anderen Seite liefern deutsche Unternehmen Waffen und Munition für Kriege.

Andere Länder würden ausbleibende deutsche Exporte sofort ersetzen.

Wir werden das nicht weltweit verhindern können. Gegenstand unseres Antrages im Landtag ist aber auch, dass nicht nur der Bund aufgefordert wird, Lieferungen in Kriegs- und Krisengebiete zu stoppen. Auch die Europäische Union soll eine Richtlinie erlassen, um einheitlich hohe Standards in dieser Sache zu erreichen.

Sie appellieren auch an die Unternehmen: Was versprechen Sie sich davon?

Ob das von Erfolg gekrönt sein wird, weiß ich nicht. Entscheidend ist: Wir brauchen eine öffentliche Debatte auch, um den Druck auf Unternehmen zu erhöhen und sie nicht aus der Verantwortung zu lassen.