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Pediküre mit Prickel

Auftritt: Eine Raupe, die Plastiktüten verputzt. Hoffnung: Wir sind unsere Umweltverschmutzung los. Die Wissenschaft ist skeptisch. Was ist dran an den natürlichen Lösungen für menschengemachte Probleme?

Von Johanna Kleibl

Es war eine sensationelle Nachricht: Die Raupe der Wachsmotte soll Plastik fressen können. Könnte eine Motte die Lösung für das lebensbedrohliche und von Menschen verursachte Müllproblem sein?

Die vermeintlichen Fähigkeiten der Mottenlarve war eine Zufallsentdeckung der Biologin Federica Bertocchini im April 2017. Die Professorin, die an der spanischen Universität Cantabria arbeitet und in ihrer Freizeit Imkerin ist, hatte an ihren Bienenkästen Raupen der Großen Wachsmotte (Galleria mellonella) beobachtet. Dass diese dort nisteten, war der Forscherin keine Neuigkeit. Aber dass sie offenbar mit großem Appetit Löcher in eine Kunststofftüte fraßen, schon.Um zu herauszufinden, ob die hungrigen Raupen das Plastik nicht nur zerkleinern, sondern auch verdauen können, führte Bertocchini einen Laborversuch durch. Ihr Team veröffentlichte in der Fachzeitschrift Current Biology das Ergebnis: Die Larve sollte Polyethylen tatsächlich abbauen können.

Motten im Versuch

Endlich schien man Hinweise auf eine neue, billige und effiziente Methode entdeckt zu haben, mit der der aktuelle Öko-Aufreger Plastikmüll einzudämmen wäre.

Polyethylen macht etwa vierzig Prozent der weltweiten Plastikproduktion aus und ist normalerweise nur sehr langsam abbaubar. Allein in den Ozeanen landen jedes Jahr fünf bis dreizehn Tonnen. Vielleicht ließe sich ein Enzym oder Mikroorganismus aus dem Inneren des Tiers für den Abbau des Kunststoffs nutzen? Oder der Wachsmottennachwuchs könnte unsere Müllberge einfach auffuttern?Dass sich die Wachsmotten problemlos durch Plastiktüten knabbern können, ist offensichtlich. Schwieriger zu bestimmen ist, ob die Winzlinge den Kunststoff einfach mechanisch verkleinern und wieder ausscheiden oder ob das Polyethylen durch den Verdauungsprozess tatsächlich chemisch umgebaut wird.

Das wollten die WissenschaftlerInnen an der Universität Cantabria mit einem Experiment herausfinden. Sie froren Wachsmottenlarven ein und pürierten sie zu einer homogenen Masse. Die trugen sie auf eine Polyethylenoberfläche auf, um die chemische Wirkung des Insekts auf den Kunststoff zu überprüfen.

Wenn tatsächlich Enzyme oder Mikroorganismen im Inneren der Larve das Polyethylen verändern, dann sollte diese Wirkung auch im Laborversuch auf einer Kunststoffoberfläche sichtbar sein.

Nachdem die Masse auf das Polyethylen eingewirkt hatte, entfernten die WissenschaftlerInnen sie wieder, wuschen die Oberfläche mit destilliertem Wasser ab und wiederholten den Vorgang mehrmals.

Anschließend untersuchten sie die Oberfläche des Polyethylen mit unterschiedlichen Verfahren. Beim Messen von Infrarotspektren fanden sie Signale, die sie als ein Abbauprodukt von Polyethylen werteten. Das wäre ein Beweis, dass die Larve den Kunststoff tatsächlich verdaut.

Doch die frohe Botschaft von der plastikfressenden Raupe sollte nicht lange unangefochten bleiben. Als der Mainzer Chemieprofessor Till Opatz die Meldung las, dachte er sich erst einmal nichts dabei. Schon vorher hatte er sensationelle Berichte über plastikfressende Organismen gelesen, die unser Müllproblem lösen können sollten. Kurz darauf klingelte sein Telefon, ein Fernsehsender wollte seine Meinung zur Plastikraupe hören. Er begann, sich mit der Studie zu beschäftigen.

„Es ist bei den Wachsmottenlarven nicht ganz abwegig zu glauben, dass die den Kunststoff auch verdauen können, denn sie beißen sich ja durch die Waben und das Wachs in Bienenstöcken durch, und das Wachs ist ja chemisch dem Polyethylen sehr ähnlich“, sagt Opatz. Doch an der Methodik der Forschungsarbeit hatte er seine Zweifel und begann wenige Tage nach der sensationellen Meldung, eigene Experimente durchzuführen.

Statt mit Larvenmus bestrich sein Team die Kunststoffplatten mit Eigelb und Schweinehack. Die Messergebnisse waren denen des Raupenexperiments ähnlich. Das, was für das Team der Uni Cantabria ein Hinweis auf Kunststoff­abbauprodukte war, sieht er als die Spuren der tierischen Masse.Till Opatz veröffentlichte seine Ergebnisse ebenfalls in Current Biology, dem Magazin, in dem ein paar Monate vorher auch der frühere Versuch der spanischen Universität publiziert worden war. Das Team aus Spanien hielt trotz der Zweifel des deutschen Wissenschaftlers an seinen Erkenntnissen fest.

Sie hatten das vermeintliche Abbauprodukt auch dort auf Plastikoberflächen gefunden, wo sich lebendige Larven aufhielten. Ein endgültige Ergebnis gibt es nicht. Die Wissenschaftler sind sich uneins.

Omnipräsente Tiere

Eine Sensationsmeldung von einer plastikfressenden Raupe, von einem Tier, das uns hilft, unsere Probleme zu lösen, passt für die Historikerin Mieke Roscher gut ins Bild. Die Omnipräsenz von Tiergeschichten in Medien, TV-Filmen und Kinderbüchern erklärt die an der Universität Kassel im Forschungsschwerpunkt Mensch, Tier, Gesellschaft tätige Professorin mit der seit Urzeiten bestehenden Verbindung zwischen Tier und Mensch.

Immer da, wo eine Tiergeschichte mehrere Diskurse – ökologische, mediale, wissenschaftliche, alltägliche – in sich vereinige, hätte sie Potenzial für großes öffentliches Interesse.

Neben der Plastikraupe hätten zum Beispiel die Pandabären, die letztes Jahr als Geschenk der chinesischen Regierung nach Berlin kamen, für Aufmerksamkeit gesorgt. Die Pandas hätten einen Niedlichkeitsfaktor und einen Seltenheitswert und stünden für einen politischen Diskurs über internationale Handelspolitik und deutsch-chinesischen Beziehungen.

In Deutschland hat einen guten Ruf, was natürlich ist oder natürlich erscheint, meint Roscher. Für sie ist diese Anschauung eine logische Entwicklung der Zeitgeschichte. Schlechte Erfahrungen mit Chemie wie der Contergan-Skandal oder Umweltkatastrophen hätten die Menschen zur Suche nach Alternativen angeregt. Auch der Chemiker Opatz hat den Eindruck, dass das Label „natürlich“ in Deutschland immer gut ankommt.

Die Deutschen wollten die Schöpfung bzw. die Natur eher bewahren, die Amerikaner beispielsweise seien viel offener dafür, diese selbst zu gestalten und weiterzuentwickeln. Auch das die Deutschen der Gentechnik viel skeptischer gegenüberstehen, als die US-Amerikaner, habe mit einem anderen Verständnis von Mensch und Umwelt zu tun.

Selbst wenn die Raupe unsere Plastiktüten verdauen könnte, ist es höchst unwahrscheinlich, dass sie unser Müllproblem löst. Selbst eine massenhafte Wachsmottenzüchtung wäre nicht so effizient wie bestehende, von Menschen entwickelte Recyclingtechniken.

Es gibt jedoch andere Tierchen, deren Fresserhalten sich der Mensch zu Nutze macht: Die Schlupfwespe wird als biologische Schädlingsbekämpfung eingesetzt, der Knabberfisch beschert dem Menschen eine Pediküre mit Kribbeleffekt beschert.

„Phänomenal, ein Tier an seine Füße zu lassen“, sagt Professorin Roscher. „Scheinbar wird da ein Bedürfnis befriedigt, dass sich nicht durch herkömmliche Fußpflege befriedigen lässt.“ Hier werde der Anschein eines „vermeintlich natürlichen Vorgangs“ erweckt. Sehr natürlich sei es allerdings ja gerade nicht, Fische in ein Becken zu schütten und seine Füße da rein zu halten.

Selbst wenn sich am Ende herausstellen sollte, dass die Wachsmotte dem Menschen keine große Hilfe ist, um die Erde vor dem Plastikmüll zu retten, eine Hilfe ist sie dem Menschen trotzdem: als Köder von Anglern.

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