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Diplomierte Lust an der Zerstörung

Mit dem Festival „Dangerous Minds“ erproben Kampnagel und Fundus-Theater hierarchiefreie Begegnungsformen zwischen Kindern und Erwachsenen

Von Robert Matthies

Noch argwöhnisch beäugen sie sich zu Beginn. Dann gehen sie aufeinander zu, fangen an zu tanzen und immer neue Verbindungen miteinander einzugehen. Fünf Kinder zwischen neun und 14 Jahren und fünf Erwachsene – drei Tänzer und zwei Musiker – stehen im Stück „Horses“ des belgischen Kollektivs Kabinet k auf der Bühne. Ein tastendes Suchen nach einander, nach Anknüpfungspunkten für Konstellationen entspinnt sich; ein Spiel um Machtpositionen und Verletzlichkeit, um Vertrauen und die Kraft, die darin steckt, sich gegenseitig zu stützen und zu tragen: Eine getanzte Frage nach den Möglichkeiten, den hierarchischen Dualismus zwischen Kindern und Erwachsenen zu überwinden und für eine Dreiviertelstunde einen Raum zu eröffnen, in dem alle gemeinsam über die Regeln des Miteinanders entscheiden.

Zu sehen ist das Stück am Samstag und Sonntag kommender Woche auf Kampnagel beim Festival „Dangerous Minds“. Das präsentiert ab Montag dieser Woche erstmals als Kooperation der Kulturfabrik und des Forschungstheaters Fundus-Theater eine Woche lang in beiden Häusern Performances, die sich auf unterschiedliche Weise mit der Frage beschäftigen, wie eine „transgenerationelle Öffentlichkeit“ hergestellt werden kann: Wie kann die Trennung zwischen den Generationen aufgehoben werden, auf der Bühne, aber auch im Publikum; in der Produktion von Stücken ebenso wie in ihrer Präsentation?

Und wie lassen sich die im geschützten Theaterraum gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen übertragen auf einen weiter gefassten Begriff von Publikum: auf gesellschaftliche Diskussionen und auf allgemeinere Fragen nach Machtverhältnissen und Positionierungen? Wie sähe eine Gesellschaft aus, in der alle voneinander lernen und das Wissen nicht als etwas gedacht wird, das die einen besitzen und das den anderen vermittelt werden muss?

Denn meist ist es eben anders: Da entscheiden die wissenden Erwachsenen, was es zu lernen gibt und präsentieren das einem unwissenden Publikum. „Verdummende Pädagogik“ nannte der französische Philosoph Jacques Rancière 1980 in seinem Essay „Der unwissende Lehrmeister“ solch hierarchische Bildung. In der „intellektuellen Emanzipation“ aber sei das zu Vermittelnde nicht längst erreichter Besitz, sondern Anlass für eine gemeinsame Suche, Ausgangspunkt für einen Austausch von Erfahrungen und Wahrnehmungen. Der „unwissende Lehrmeister“ ist ein Lernender.

Auch das Festival wolle Wissen nicht von einer Position der Überlegenheit als Kulturinstitution aus vermitteln, sondern Räume eröffnen, in denen ein gemeinsames Lernen möglich wird, sagt Kampnagel-Dramaturgin Anna Teuwen, die das Festival gemeinsam mit Sybille Peters vom Fundus-Theater organisiert hat. Der Kunstkontext biete dabei andere Möglichkeiten, Sachen spielerisch zu machen. „Man kann Behauptungen aufstellen, die man im ‚echten Leben‘ nicht aufstellen könnte“, sagt Teuwen. Tatsächlich aber seien die Konsequenzen durchaus real. „Man kann durch künstlerische Strategien echte neue Räume schaffen, in denen sich Bedingungen verändern“, sagt sie. „Aber die Erfahrungen, die man in diesen Räumen macht, sind im Grunde dieselben, die man auch im ‚echten Leben‘ machen würde.“

Sybille Peters, die am Fundus-Theater seit mehr als 15 Jahren Kinder, Künstler*innen und Wissenschaftler*innen als Forschende zusammenbringt, sieht das ähnlich: Kunst biete einen Rahmen, in dem man Dinge aushalten könne, die sonst unvorstellbar seien. Im Rahmen des Festivals lädt Peters unter anderem ein, in der „Akademie der Zerstörung“, die vergangenes Jahr erstmals in der Londoner Galerie Tate Modern stattfand, ein Diplom in Zerstörung zu machen.

Auch die Akademie ist ein Versuch, eine transgenerationelle Öffentlichkeit anzusprechen. „Kinder und Erwachsene haben gleichwertige Expertisen und gleichwertige Stimmen zum Thema. Und gleich viel Lust auf Zerstörung“, sagt Peters. Dennoch sei Zerstörung etwas, das sie trenne. „Die Erwachsenen erleben Kinder als potenziell destruktiv. Und die Kinder haben große Sorgen, dass die Erwachsenen den Planeten zerstören“, sagt Peters.

Ein Blick in die jüngere Kunstgeschichte aber liefere genug Anknüpfungspunkte dafür, wie man konstruktiv mit der Lust an der Destruktivität umgehen könne, sagt Peters. Seit den 1960ern werde von Performancekünstler*innen ja systematisch viel zerstört. Warum also nicht jetzt die Mauer einreißen, die die Generationen voneinander trennt?

Mo, 21. 5., bis Mo, 28. 5., Fundus-Theater und Kampnagel

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