: Selbstbewusste Zuversicht
Souverän im heimischen Umfeld: In ihrem „Sayeda“-Projekt porträtiert Amélie Losier ägyptische Frauen. In einer Schau im Haus am Kleistpark sind die Fotos zu sehen
Von Lorina Speder
Bilder aus dem Alltag von Kairo sind im Eingangsbereich der Ausstellung „Sayeda – Frauen in Ägypten“ zu sehen. Chaotischer Verkehr, hohe, terrakottafarbene Häuserfronten und Männer, die im Café Shisha rauchen. Begleitet werden diese ersten Fotografien vom Sound der Stadt, der aus kleinen Lautsprechern kommt. Die Einführung zeigt, was man als Besucher in Kairo wahrnehmen würde. Doch wie es in den privaten Wohnzimmern der Bewohner zugeht, bleibt als Tourist nahezu unmöglich zu erfahren.
Die Fotografin Amélie Losier aber schaffte es, in mehreren Reisen nach Ägypten zwischen 2014 und 2016 persönliche Geschichten von 40 Frauen zu erfahren und ausdrucksstarke Porträtbilder von ihnen aufzunehmen, die nun in der Schau im Haus am Kleistpark zu sehen sind.
Losiers Motivation für den Austausch mit ägyptischen Frauen kam durch den Arabischen Frühling. Zuvor war sie noch nie in einem arabischen Land gewesen. Nach den über 80 Vergewaltigungen von Frauen während Demonstrationen auf dem Tahrirplatz in Kairo in der Nacht vom 3. auf den 4. Juli 2013 beschloss sie, direkt vor Ort von Ägypterinnen zu erfahren, was es bedeutet, in einer patriarchalen Gesellschaft zu leben.
Insgesamt 15 Wochen verbrachte die in Frankreich geborene und in Berlin lebende Fotografin in Städten wie Kairo, Alexandria, aber auch auf dem Land. Über Freunde in der Hauptstadt lernte sie die frankoägyptische Fotografin Nada Elissa kennen, die für sie übersetzte und die ersten Treffen ermöglichte. Da sich das Projekt aber schnell herumsprach, bekam Losier zuletzt sogar Einladungen und Anfragen für ihre Besuche geschickt.
Die Fotografien in der Ausstellung zeigen stolze Frauen, die in ihrem heimischen Umfeld souverän in die Kamera blicken. Die darin zu sehende Zuversicht zeigt, dass die Frauen trotz der Diskriminierung in Ägypten eine Stimme gefunden haben. Dass sie nicht aufgeben, für eine bessere Zukunft zu kämpfen. In aufgeschriebenen Geschichten zu den Bildern erfahren die Besucher von jeder Fotografierten auch, welche Probleme sie beschäftigen und welche Hoffnung sie für die Gesellschaft hat. Das in den Medien fokussierte Bild der unterdrückten Ägypterin bestätigt sich hinter verschlossenen Türen dabei eher nicht.
Die Töpferin Rawiya Muhammad zum Beispiel steht auf der Fotografie zufrieden zwischen ihren Arbeitsutensilien. Für sie war schon immer klar, dass sie ihr Leben der Keramik widmen wollte. Mit dieser Vision im Kopf lehnte sie Heiratsanträge von Männern ab, die sie nur als Hausfrau sehen wollten. Sie betreibt eine Werkstatt außerhalb von Kairo, ihrem heutigen Mann und den gemeinsamen Kindern brachte sie das Töpfern bei.
Aber auch herzzerreißende Einzelschicksale mit Vergewaltigungen innerhalb der Familie oder nicht geduldeter Homosexualität werden von Losier beleuchtet. Wie das einer 25-Jährigen aus Kairo, die von ihrem Onkel vergewaltigt wurde und die plant, vor Gericht gegen ihn auszusagen. Auf dem lichtstarken Porträtfoto der jungen Frau verbirgt sie ihr Profil mit der rechten Hand. Offen bleibt, ob sie sich dabei wirklich eine Träne aus dem Auge wischt. Denn die Vergangenheit hat sie nicht gebrochen. Auch sie führt ein selbstbestimmtes Leben. Sie wählte ihren Mann, einen politisch aktiven Künstler, gegen den Willen der Eltern aus und arbeitet mit ihm als Straßenkünstlerin.
In einem im ersten Ausstellungsraum gezeigten Film führt Losier die Besucher in die Situationen während ihrer Treffen mit den Frauen ein. Dabei ist auch Nadia Ali Abdala zu sehen, wie sie sich mit ruhigen Handgriffen ein weißes Tuch um ihren Kopf bindet. Das dabei entstandene Titelbild des Buchs zum Projekt „Sayeda – Frauen in Ägypten“ ist ein sinnlicher Beweis dafür, dass für die porträtierte Bauleiterin das Kopftuch etwas Selbstbestimmtes ist. Im Film nimmt sie das Tuch am Ende wieder ab und lächelt erst verlegen, dann strahlend in die Kamera.
Sayeda – Frauen in Ägypten: Haus am Kleistpark (Projektraum), Grunewaldstr. 6–7, Di.–So. 11–18 Uhr, bis 29. Juli. Das gleichnamige Fotobuch ist im Verlag Nimbus Kunst und Bücher erschienen
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