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Katrin Seddig Fremd und befremdlichDer Staat und der Gehorsam sind zurück – bei Bürgern und Politikern

Lou Probsthayn

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ ist kürzlich bei Rowohlt Berlin erschienen.

Ich war in letzter Zeit öfter in Diskussionen über den Gehorsam verwickelt. Als ich vor vielen Jahren an der Hamburger Universität zu studieren begann, sagte ein Mann zu mir, „Man erkennt, dass du aus dem Osten bist“. Ich fragte ihn, woran man das erkenne. Er sagte, er erkenne das daran, dass ich mich an alles halte, was mir vorgeschrieben sei. „Leute aus dem Osten“, sagte er, „gehen nicht bei Rot über die Straße.“ Auch heute noch fällt es mir schwer, die Straße zu überqueren, wenn die Ampel rot leuchtet. In meinem Wohngebiet gibt es eine Bettelampel. An der fand ich mich eines Nachts wieder, wie ich an dieser einsamen Straße stand, auf der schon tagsüber kaum Verkehr war, ich hatte den Knopf gedrückt und wartete auf das Grün. Es hätte Tag darüber werden können. Und dann ging es mir auf, was für eine gehorsame Idiotin ich bin. Wie haben sie das gemacht?, dachte ich, wie haben sie uns zu solchem Gehorsam erzogen? Sozialismus, eine vom Staat gelenkte Erziehung.

Aber wie es ist es jetzt? Ich gehe ab und zu, und immer noch mit gemischten Gefühlen, bei Rot über die Straße. Aber ich erlebe, wie die Menschen wutschnaubend auf die Einhaltung der Regeln pochen. In der DDR haben die Autoritäten auf die Einhaltung der Regeln gepocht, in der heutigen BRD pocht auch der Bürger selbst wutschnaubend auf die Einhaltung der Regeln. Das fängt beim Straßenverkehr an. Es ist in Hamburg wieder ein Mensch, eine Frau, von einem abbiegendem LKW überfahren worden. Es gab Anteilnahme, es gab öffentliche Aktionen, aber es gab auch Wütende, die mutmaßten, dieser totgefahrene Mensch könnte die Regeln missachtet haben. Es gibt Wütende, die, insgeheim, allen Radfahrern den Tod wünschen, aus dem gefühlten Grunde, dass Radfahrer im Allgemeinen, als Gruppe gesehen, häufig die Verkehrsregeln missachten würden, und deshalb den Tod irgendwie auch verdienten. Wer sich nicht an die Regeln hält, verdient den Tod. Selber Schuld, heißt es da.

Der deutsche Bürger steinigt nicht, der deutsche Bürger hinterlässt hämische Kommentare. Er wünscht jedem Regelverletzen den Tod. „Mein Beileid der Familie“, heißt es dann, „aber...“. Und hinter dem ,abersteckt all der Hass, den der deutsche Bürger dem Regelverletzer zukommen lässt, hinter dem ,abersteckt die Steinigung.

„Einbruch ist Einbruch“, sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner von der CDU kürzlich in der Osnabrücker Zeitung, hinsichtlich der Stalleinbrüche von Tierschützern. Das ist der Ton der Kommentarkläuse: „Das ist Sachbeschädigung! Sachbeschädigung ist das!“ Und Einbruch? Das ist Einbruch, nichts anderes, einfach nur Einbruch. Diese Tautologie beinhaltet eine Information, eine Drohung. Dieses ‚Andere, das manche Menschen in einem solchen Einbruch evtl. zu sehen imstande wären, den „guten Grund“ nämlich, die moralische Legitimation, das gäbe es nicht. Ihr dürft diese Gedanken nicht haben, sagt uns Frau Klöckner, oder Niedersachsens Landwirtschaftsministerin, Frau Barbara Otte-Kienast, die sich kürzlich ähnlich dazu äußerte. Nur dem Staat stünde es zu, sich den Missständen, wie zum Beispiel Tierrechtsverletzungen, zu widmen. Und da sind sie wieder, der Staat und der Gehorsam.

Hinter all dem „aber“ der Kommentarkläuse stecktdie Steinigung

„Erzähle das besser nicht herum“, sagte letztens jemand zu mir, „sie legen Akten an“. Das gab mir zu denken. Ich überlegte mir, ob ich, aufgrund meiner öffentlichen Meinungsäußerungen vielleicht, aufgrund meiner Teilnahme an Demonstrationen, ob ich da vielleicht auch schon irgendwo auf einer Liste stehe. Beim Telefonieren stockte ich gestern, während ich etwas erzählte, und ich hörte in das Telefon hinein, ist da noch jemand, ein Dritter? In der DDR habe ich in das Telefon gehorcht, weil die Familie meines Freundes von der Staatssicherheit überwacht wurde. Ist das Paranoia? Oder nähern sich die Erziehungsmethoden an? „Härtere Strafen“, das fordert Frau Klöckner. Das ist wohl der Weg. Härtere Strafen haben ja schon immer geholfen. Auch in der Kindererziehung sollten wir zu härteren Strafen zurückkehren. Das hat sich bewährt.

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