: Kurze Rückkehr des Politischen
KRISENKUNST Das von Künstlern besetzte Theater Embros in Athen soll geräumt werden. Das Ensemble wehrt sich und wird dabei von Besuchern und Nachbarn unterstützt
VON FATMA AYDEMIR
Ohne die Arie, die durch die gepflasterte Seitenstraße des Stadtteils Psirri im Zentrum von Athen hallt, wäre das Theater Embros womöglich nicht zu finden. Mit Graffiti übersähte Fassaden und verschlossene Ladenfronten reihen sich anonym nebeneinander. Die in den Neunzigern gentrifizierte Gegend war einst für ihre kleinen Manufakturen sowie für Prostitution bekannt. Seit der Krise ist es sehr still, bis auf einige Obdachlose und Junkies spaziert kaum jemand dort herum.
Hippe Stadt-Location
Als das Künstlerkollektiv Mavili im November 2011 das Gebäude besetzte, stand es bereits seit fünf Jahren leer. Vassilis Noulas, 37 Jahre alt und Gründungsmitglied, erinnert sich: „In den Neunzigen, als ich noch Student war, galt dies als ein wichtiger Ort für anspruchsvolles Theater in Athen.“ Mit dem Tod des letzten Intendanten schloss das Theater 2006. Die sechs Regisseure des Mavili-Kollektivs haben mit Hilfe ihrer Unterstützer das Gebäude aufgewertet, um einen Ort für das junge avantgardistische Theater zu schaffen. Nach der Eröffnung mit einem zehntägigen Festival ist das Theater mit seinen Inszenierungen und Events innerhalb eines Jahres zur hippen Stadt-Location avanciert. Enormen Zuspruch erhält es zudem aus der Nachbarschaft, die sich hier wöchentlich versammelt und politische Veranstaltungen organisiert. Umso trauriger ist es, dass die Besetzer nun vom Staat aufgefordert worden sind, das Gebäude zu räumen.
Der freie Eintritt trägt wesentlich zur Popularität des Embros-Theaters bei. Fast ein Viertel der Griechen ist arbeitslos, es werden Renten und Löhne gekürzt, während sich die Steuern um ein Vielfaches erhöht haben. Durch die Mautschranken der Autobahn schummeln sich Fahrer hinter dem zahlenden Vordermann hindurch. Man versucht nicht nur zu sparen, wo es geht, vielmehr weigert man sich, ein System zu unterstützen, von dem man sich betrogen fühlt.
„Der Avantgardist steckt immer in der Krise, mir persönlich geht die Finanzkrise Griechenlands nicht nahe. Ich musste schon immer mit wenig auskommen“, erklärt Regisseur Vassilis Noulas im hölzernen Dachgeschoss des Theaters. Die mehrmals beantragten Projekt-Fördermittel seien schon vor der Krise nicht genehmigt worden. Hinzu kommt, dass das Amt des Kulturministers seit dem Regierungswechsel im Juni dem Bildungsministerium untergeordnet ist.
Dass aber die Stadtverwaltung nun die Räumung des staatseigenen Gebäudes gefordert hat, irritiert Vassilis Noulas. Angeblich will jemand das Theater kaufen und aufwendig erneuern, was der Regisseur angesichts der wirtschaftlichen Situation bezweifelt. „Selbst wenn es so wäre, ist es doch schwachsinnig in solch dunklen Zeiten für die Kultur, eine künstlerische und gleichzeitig soziale Einrichtung, die die Sympathie der Bewohner hat, zu schließen, um Platz für ein weiteres Theater für die Bourgeoisie zu schaffen.“
Bei einer Diskussionsrunde am Wochenende erörterten Nachbarn und Unterstützer des Theaters gemeinsam, wie auf die Räumungsaufforderung zu reagieren ist. Eigentlich wollte das Kollektiv zu einer Petition aufrufen, doch viele Besucher wollen nicht namentlich genannt werden. Denn im Fall einer Klage gegen die illegale Besetzung des Gebäudes würde sich diese gegen Besucher und das Ensemble gleichermaßen richten. Zur Gründung eines Vereins aber reicht die Zeit nicht mehr aus, da die Räumungsfrist bereits heute abläuft. So wird man erst mal einen Anwalt schicken müssen. Wenn die Truppe nicht freiwillig geht, wird die Polizei das Haus räumen – und mit der ist nicht zu spaßen, wie sich bei den Protesten zu Angela Merkels Besuch in Athen vergangene Woche gezeigt hat. Zwar waren die vergleichsweise ruhig verlaufen: Eine routinierte Menge von 40.000 Demonstranten rief friedlich ihre sei zwei Jahren einstudierten Parolen, bis die Polizei – ebenso routiniert und ohne zu zögern – mit Tränengaspatronen um sich warf, um den Syntagma-Platz vor dem Parlament pünktlich zum Feierabend leer zu fegen.
Langweiliges Überangebot
„Der positive Effekt dieser Krise ist, dass wir Künstler wie die gesamte Bevölkerung auf Zusammenhalt und Solidarität angewiesen sind. Das Politische, das in meiner Generation lange vergessen war, ist komplett zurück“, sagt Vassilis Noulas. Es sei wieder wichtig geworden, zu diskutieren und eine Meinung zu haben. Athen zu verlassen, um anderswo Fuß zu fassen, wie es viele seiner Kollegen tun, kann sich der Regisseur nicht vorstellen. „Ich habe in Paris Dramaturgie studiert und fühlte mich dort wie in einem Supermarkt, weil es ein langweilendes Überangebot an Kunst gibt. Hier dagegen glaube ich, ernsthaft gebraucht zu werden.“